28 | 04 | 2024

Heinrich Christian Jacobi (* 2. Juli 1866 in Homburg vor der Höhe; † 3. März 1946 ebenda) befasste sich neben seiner Tätigkeit als Architekt, Archäologe und Direktor des Saalburgmuseums mit der Goetheforschung, insbesondere dem Darmstädter Kreis um Goethes Lila. Dabei entstand "Goethes Lila, ihre Freunde Leuchsenring und Merck und der Homburger Landgrafenhof". Ich gebe daraus mit freundlicher Genehmigung des "Verein für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg v. d. Höhe e. V." das letzte Kapitel wortgetreu wieder. Die Fußnoten auf jeder Buchseite habe ich übernommen und an das Ende gestellt.

I N H A L T

           Seite  
  Zum Geleit 5  
  Der landgräfliche Hof in Homburg 12  
  Landgraf Friedrich Ludwig 32  
  Landgräfin Caroline 61  
  Louise von Ziegler, Goethes Lila 80  
  Johann Heinrich Merck 120  
  Franz Michael Leuchsenring 131  
  Goethe 154  
  Friedrich Gustav von Stockhausen 170  
  Anhang 209  

Z U M  G E L E I T

Wie im 20. Heft unserer Mitteilungen von 1950 S. 69 gesagt wurde, ist der Direktor des Saalburgmuseums Baurat Dr.-Ing. E. h. Heinrich Jacobi am 2. März 1946 gestorben. Von seinen Arbeiten zur Homburger Geschichte sind 1932 im 17. Heft der Mitteilungen "Goethe und Homburg" (zitiert als Jac. Goethe) und 1935 im 18. Heft "Zur Geschichte der Homburger Mineralquellen" erschienen. Seine Forschungen über Goethes Lila hat er nach 1932 weitergeführt. Sie sollten im Goethejahr 1949 veröffentlicht werden, doch war eine Drucklegung damals nicht möglich. Erst jetzt sind wir in der Lage, das umfangreiche Werk drucken zu lassen, das auch die inzwischen am 22. Juli 1954 verstorbene Frau Johanna Jacobi durch ihre Mitarbeit tätig gefördert hatte. An der ursprünglichen Fassung ist möglichst wenig geändert worden.

Nicht nur die Lebensschicksale der Hofdame Louise von Ziegler, sondern auch andere für den Musenhof des Landgrafen Friedrich V. Ludwig bedeutsame Persönlichkeiten werden eingehend gewürdigt. Solange eine neuere Geschichte des Landgrafen von Homburg fehlt, bildet die Arbeit von Heinrich Jacobi eine wertvolle Ergänzung des noch heute unentbehrlichen, jetzt selten gewordenen Werkes von Karl Schwartz, Landgraf Friedrich V von Hessen-Homburg und seine Familie, Rudolstadt 1878.

Das im Text öfters genannte Hausarchiv Jacobi (zitiert Arch. Jac.) ist inzwischen, soweit die Bestände das Landgrafenhaus berühren, an das Hessische Staatsarchiv in Darmstadt, im übrigen an das Homburger Stadtarchiv übergegangen.

Der Verein für Geschichte und Landeskunde erfüllt eine Pflicht der Danksagung gegenüber Heinrich Jacobi, wenn er diese seine nachgelassene Arbeit vorlegt. Der verdienstvolle Forscher bleibt ebenso wie seine Gattin Johanna Jacobi uns ein Vorbild der treuen Liebe zur Homburger Heimat und ihrer ehrenvoller Vergangenheit in der Zeit der Landgrafen.

Bad Homburg v. d. H., im Oktober 1957

I. A.                        
Dr. Fritz Sandmann

Denn von außen und von innen
Ist gar manchen zu gewinnen
Goethe

Der hundertjährige Todestag Goethes im Jahre 1932 gab mir Veranlassung, einmal die Angaben über Beziehungen des Dichters zu unserem landgräflichen Hof nachzuprüfen, die aus seinen Besuchen in Homburg gefolgert werden konnten. ...

... Die Goetheliteratur hatte anscheinend immer nur Interesse für die literarische Seite Lilas und ihr in einem gefühlvollen Nebel schwebendes überirdisches Teil gehabt. Daß aber ihre reiche Korrespondenz noch in unserer Zeit durch die Schuld unverständiger Erben bei der Erbauseinandersetzung mit den Nachfolgern der Familie T r e u s c h  von B u t t l a r-Brandenfels 1906 in Ruß und Rauch aufgehen mußte, ist eines der tragischen Verhängnisse, die sie mit berühmten Persönlichkeiten leider teilt. Denn wenn diese Vernichtung des Nachlasses auch vielleicht der Empfindung des Familiensinnes entsprechen mag, der nachträglich Skandal und Auseinandersetzungen fürchtet, so ist das wohl begreiflich, aber, und besonders bei prominenten Personen, im Interesse der Allgemeinheit und historischen Wahrheit nur zu beklagen. Und das letztere ist nach F o n t a n e doch das "Weitergehende und Idealere." ...

L o u i s e  v o n  Z i e g l e r,  G o e t h e s  L i l a
(Auszug)

In diese "altfürstliche, aber unbemittelte Familie, welche überall das Gepräge der Redlichkeit und altdeutschen Fürstenwürde trug", wie die Freystedt schreibt, oder, nach der Schillerin, "mit ihrem biedern edlen deutschen Sinn", war Louise von Ziegler bei der Verheiratung der Prinzessin Caroline mit dem Homburger Landgrafen eingetreten. Das Leben am Hofe Friedrich Ludwigs, der selbst ein hochgebildeter und anregender Mann war und überall Verkehr mit bedeutenden Männern suchte, und seiner feinsinnigen Gemahlin ist für ihr ganzes Leben ohne Zweifel eine gute Schule gewesen. Denn die nüchtern ernste Auffassung des soliden Lebens, die hier herrschte, muß auf sie, dieses echte Kind der Wertherzeit, dessen Gefühle ab und zu in allzu große Empfindsamkeit überzuschäumen drohten, zu ihrem Wohle nur dämpfend einwirken und die in elysischen Regionen Schwebende am Boden festhalten. Sie war hier ja in erster Linie Hofdame und Gesellschafterin der ernsten, fast gleichaltrigen Landgräfin und hatte sich, zumal bei den beschränkten Homburger Verhältnissen, oft um recht triviale und praktische Dinge des Haushalts zu kümmern. Ohne einen bestimmten Pflichtenkreis im Haushalt zu haben, mußte sie überall da einspringen, wo es not tat und die Bequemlichkeit der Herrschaft es erforderte. So sorgte sie z. B. auf der holländischen Reise, als man in einem einsamen und ärmlichen Gasthaus einkehren mußte, dafür, daß das primitive Nachtquartier etwas behaglicher wurde, und das frugale Abendessen vervollständigte sie durch einen selbstgebackenen Eierkuchen.

...

Wie die schöne L o u i s e  v o n  Z i e g l e r ausgesehen hat, wissen wir jetzt, nachdem es mir gelungen ist, an ganz versteckter Stelle ihr Ölbild zu entdecken. Damit ist auch diese Lücke in der Goetheforschung ausgefüllt. Beim Studium des Stammbaumes der Familie ihres späteren Gemahls, des Generals v o n  S t o c k h a u s e n - I m m e n h a u s e n nämlich, bei der mir die "Sächsische Stiftung für Familienforschung" gütigst weiterhalf, war mir die Feststellung gelungen, daß dieser Zweig der Familie im Jahre 1906 gänzlich ausgestorben und von der verwandten Familie T r e u s c h - B u t t l a r  v o n  B r a n d en f e l s beerbt war. Die Namen der Erben verdanke ich dem Entgegenkommen des Amtsgerichts Dresden; es waren neun, unter denen der Besitzer des Nachlasses zu ermitteln blieb. Meine Vermutung, daß Frauen mit Vorliebe alte Erinnerungen aufheben, führte mich 1932 auf die richtige Spur, an ein Fräulein G e r t r u d  v o n  B u t t l a r in Dresden. Die liebenswürdige und feinsinnige Dame mußte mir aber leider von vornherein die Hoffnung nehmen, bei ihr noch viel über ihre verstorbene Verwandte zu finden, da der schriftliche Nachlaß der Frau Generalin von Stockhausen bei der Erbauseinandersetzung v e r b r a n n t  w o r d e n  s e i ! ! Dadurch ist viel verloren gegangen für die Goetheforschung wie für die Geschichte des Homburger Hofes und der Familie von Stockhausen. Zum Glück hatte Fräulein von Buttlar aber das schöne J u g e n d b i l d der Generalin, an dem sie persönlich immer ihre Freude hatte, für sich zurückbehalten und somit gerettet. Ihr habe ich die Photographie zu verdanken. Die Abbildung gibt das nun gefundene Kleinod leider nur nach einer Liebhaberaufnahme wieder78a).

LouisevonZiegler
Louise von Ziegler, Goethes Lila [1]

Wir sehen auf dem 60 x 80 cm großen Ölbild die jugendliche Louise von Ziegler in einem Oval auf dunklem Hintergrund dargestellt, ein hübsches freundliches und kluges Gesicht mit blauen Augen, den Mund umspielt von einem schelmischen Lächeln, das einen Merck, Leuchsenring und den großen Verehrer von Frauenschönheit, Goethe, schon begeistern konnte. Ihr welliges aschblondes, loses Haar ist nach der Mode der Zeit hoch aufgebaut, aber nicht gepudert, und mit einem Zopfbandeau umlegt, an der Seite ringeln sich bis auf die Schulter fallende Locken, eine Rokokofrisur, wie wir ähnliche aus dem Goethekreis kennen (Ch. v. Kalb, Lili, Charlotte Buff u. a.). Ihr Haar muß sie früher aber der Mode entsprechend anders getragen haben, denn die Große Landgräfin schreibt auf ihrer Reise nach Rußland am 7. Juli 1773 von den Russinen: "On voit ici parmi les habitantes des coiffures pour mourir de rire, l'ancienne coiffure de la Ziegler était basse en comparaison de cela." Das war in demselben Jahr, als Maria Theresia ihrer Tochter Maria Antonia (Marie Antoinette), die nach Zeitungsberichten eine 36 cm hohe Frisur trug, dringend riet, sie solle die Mode nur gemäßigt mitmachen und nicht übertreiben. Das bezog sich auf die bisher üblichen turmartig hohen Frisuren mit großen Hüten. Jetzt waren diese Aufbauten einer schlichteren und schöneren Haartracht mit lang herunterhängenden Flechten und Locken gewichen. Der Ausschnitt des hellgrünen Kleides ist mit breiten Spitzenrüschen eingefaßt, in denen ab und zu eine bleumourante "Schleipfe" eingeflochten ist, die sich auch am Latz wiederholt.

Als Maler kann meines Erachtens nur ein T i s c h b e i n in Frage kommen, und zwar wahrscheinlich F r i e d r i c h  A u g u s t  T i s c h b e i n (1750-1812)79). Ich schließe dies nebenbei daraus, daß dieser nach Luthmer seit 1770 Pensionär des Fürsten von Waldeck, dann zwei Jahre in Arolsen (1789-91) und dort nochmals 1795 war. Dadurch, daß ich die Ziegler als Waldecker Kind ermittelt habe, liegt die Autorschaft dieses Tischbein, der in Arolsen abeitete, doch wohl am nächsten. Es kommt hinzu, daß dieser auch einen Herrn v o n  S t o c k h a u s e n als "Meister vom Stuhl" (Luthmer Nr. 175) gemalt hat. Das kann eigentlich nur der uns als Freimaurer bekannte Schwiegervater Hans Gottfried von Stochausen-Immenhausen sein; ob es ihr Gatte, der General, war, müßte aus dem Bilde selbst (Pendant?), das mir nicht zugänglich ist, zu ersehen sein, wenn dieser überhaupt Freimaurer war. Es mag ferner noch für Tischbein und seine Beziehungen zur Familie sprechen, daß dieser auch ein Bild einer Frau von Buttlar (Nr. 181), also wohl auch einer Verwandten der Stockhausen, gemalt hat. Es wäre, auch Tischbeins wegen, zu wünschen, daß dieses schöne Porträt gelegtlich in eine öffentliche Sammlung gelangte, möglichst nach Weimar, da mit ihm der Kreis schöner Frauen um Goethe in effigie geschlossen wäre. Daß Tischbein für Homburg gemalt hat, geht aus einem Briefe des Ober-Hofmeisters von Kykepusch hervor, nach dem dieser ein Portrait der Fürstin von Rudolstadt, der Prinzessin Caroline, in Pastell gemalt hat, "das aber ähnlicher war als das Portrait der Homburger Landgräfin". Welches von den vielen ihrer Porträts, bliebe noch festzustellen.

...

F r i e d r i ch  G u st a v  v o n  St o ck h a u s e n

Die empfindsame Lila war immer von vielen begehrt. Bei den Seelenfreunden, die ihr zu Füßen lagen, war es aber nur bei einer gegenseitigen vorübergehenden Schwärmerei geblieben. Allein die Herren von Reutern und von Boden scheinen ernste Absichten gehabt zu haben, denen sie aber nur ein warmes Andenken bewahrt, ebenso wie Goethe, dem gutherzigen Wanderer. Erst ein preußischer Premierleutnant von Stockhausen im Infanterieregiment von Sobeck in Anklam hatte im Jahr 1774 das Glück, die Braut heimzuführen und die anderen Bewerber aus dem Feld zu schlagen.

Lila muß natürlich den so wichtigen Akt ihrer Verlobung baldigst ihrer Freundin mitteilen und berichtet an Psyche in ihrem Brief vom 12. April ausführlich, auf welche Weise sie die Bekanntschaft ihres Bräutigams gemacht hat, dessen Vorzüge sie beschreibt:

Sie leben glücklich, sie fangen ein neues Leben an. O, dem Himmel sei Dank und vielleicht kann ich bald ein gleiches sagen. Mein Schicksal ist besonders, seyd 5 Wochen hat sich mir ein neuer Weg vor mich gezeigt, der kommt, als wenn ihn eine höhere Hand vor mich gebahnt, denn niemand so wenig als ich hat etwas muthmaßen können. Ein Mann, der ohngefähr 5 Monate hier ist, den ich alle Woche ein paar Mahl nicht anders als bey der Tafel gesehen, dieser läßt sich durch einen Dritten erkundigen, ob ich nicht versprochen, ob ich ihn lieben könnte, ob er mich begehren darf. Sie können denken, wie bestürzt ich war, verschiedene Trait, die nur einer großmüthigen Empfindsamen Seele gleichen, die ich von ihm wußte und seyn redliches glückliches Gesicht, die Besonderheit dieses Schicksals haben mich entschlossen. Jetzt erwarte ich nur die Antwort von meinen Eltern, darauf beruth alles. --- Ich muß glauben, daß es seyn soll, denn er versichert mich, daß vom ersten Augenblick seyn Hertz Ihm vor mich gesprochen und er den Entschluß faßte. Er schlug in der nähmlichen Zeit eine reiche Parthie aus, die man ihm vorschlug. Seyn Vermögen ist hinreichend, honnett zu leben, und das beste von allem, er hat ein Landgut bey Cassel (Immenhausen). Die erste vertrauliche Frage, die ich ihm that, war, wie weit Bück(eburg) von Cassel wäre, 7 Meilen sagte er und ich war außer mir vor Freude. Da ich Ihm die Ursach sagte, gewiß nur 7 Meilen?, wenn es auch ein paar mehr seyn, wollen wir doch hinkommen. Er ist nicht schön und nicht garstig, ein wenig dick, sehr douce ist sein Charakter und sehr liebend. Aber dauert Ihnen unser armer B o d e n nicht? Sie werden doch bey dieser Gelegenheit sehen, daß er mich wahrhaft geliebt, oder ich müßte mich sehr betrogen haben. Ich kann und darf nicht mehr schreiben, diese Gemüths Unruh, die traurigen Begebenheiten in D(armstadt) haben meine Gesundheit sehr mitgenommen (Tod der Urania). Ich hoffe, das schöne Frühjahr bringt es wieder zurecht, hier ist das erste Veilchen von meinem Altar. Adieu liebes Edles Paar, ich freue mich mit Ihnen, liebe Ihnen mit der ganzen Zärtlichkeit meines Hertzens.                                                     Louise

Dieser 1743 geborene Johann F r i e d r i c h  G u s t a v  v.  S t o c k h a u s e n110) stammte aus W i n z i g (bei Wohlau) in Niederschlesien und war der Sohn des Oberwachtmeisters (Oberstleutnant) im Rgt. Prinz Maximilian Hans Gottfried von Stockhausen-Immenhausen auf Deutsch Sagor, Chef des Landregiments 4 in Stettin (1686-1759). Seine Mutter war A. Elisabeth von Reitzenstein (1710-1746)111). Wie er damals nach Homburg gekommen ist, sagt uns eine Tagebuchnotiz Armbrüsters, nach welcher "Herr von Stockhausen am 28. Oktober 1773 für die gnädige Erlaubnis dankt, in Homburg einen Werbeplatz aufrichten zu dürfen", wo er dann 5 Monate lang als Werbeoffizier weilte. Wir wissen leider aus Homburger Akten nichts Näheres über Werbungen Friedrichs des Großen hierselbst in jener Zeit, auch nichts über ein Homburger Werbebüro, das in einem der alten Gasthäuser, vielleicht dem "Goldenen Engel", zu suchen wäre112). Wenn aber auch Homburg dafür viel zu klein war --- ein Hauptwerbebüro war in Frankfurt --- so kann das nur so zu erklären sein, daß es eben die Residenz eines selbständigen kleinen Landes war, an dessen Regenten wie an alle Potentaten der Aufruf des Königs ergangen war. In Homburg bestanden zudem nähere Beziehungen zum König, da des Landgrafen Vater Friedrich Carl im Dienste Friedrichs des Großen gestanden hatte. Aus jener Zeit enthält das Homburger lutherische Kirchenbuch manchen Eintrag von Trauungen "preußischer Rekruten" mit dem Zusatz, daß "der Premierleutnant von Stockhausen das Heiraten genehmigt habe". Durch seinen Beruf wird er dann mit dem Hofe und so mit der Hofdame L o u i s e  v o n  Z i e g l e r bald bekannt geworden sein. Wie wir aus obigem Briefe sehen, hatte er vorher eine reiche Partie ausgeschlagen, besaß ein "honnettes" Vermögen und war Besitzer des alten Rittergutes Immenhausen bei Kassel, während die Zieglerin, wie sie selbst gesteht, von Hause aus arm war. Was ihr aber die Wahl besonders leicht machte, war, daß das Gut nicht allzuweit von Bückeburg, dem Heim ihrer Psyche, liegt. Vom Aussehen ihres Bräutigams sagt sie, daß er "nicht schön und nicht garstig, ein wenig dick, aber von gutem und liebenswertem Charakter sei, vor allem eine schöne empfindsame Seele voller Güte und zärtlicher Empfindung habe". Das war ihr die Hauptsache.

Die Hochzeit fand am 6. Juni abends 8 Uhr im landgräflichen Schlosse statt. Über ihre Verheiratung berichtet Lila ausführlich an die Herders drei Wochen nach der Hochzeit am 26. Juni 1774, wobei natürlich die Brauttoilette vor allem besprochen werden muß:

Homburg, den 26. Juni 1774

Jetzt bin ich seit 3 Wochen mit Herrn von Stockhausen geheiratet und glücklich, er ist eine schöne, eine empfindliche Seele voller Güte und der zärtlichsten Empfindungen fähig . . . er hat mir versprochen, so bald wir nach Hessen gehen, mich zu Ihnen zu führen; ich weiß noch nicht, wann es geschieht, weil es von der Ablösung abhängt; der einzige Gedanke, daß mein Mann ein Offizier, ein Preuß. Offizier ist, das kommt mir noch unerträglich vor, aber er wird es nicht allzeit bleiben. Wir sind dann eben 13 Monat von einander geheiratet (Psyche am 2. Mai 1773); den 8. Juni war der große Tag. O Gott, wie beklemmt war da mein Herz, zwar ohne Furcht auf die Zukunft, ohne Reue aber ohne Freude ohne Mut, man sagt, ich hätte ausgesehen wie ein Opfer, das man zur Schlachtbank führt. Ein weißer Taffent mit Blumen geziert, war mein Anzug, aber die vielen Juwelen, mit welchen man mich krönte, machten mich fast umsinken. Den 2. Mai meine lieben Freunde wollte ich feiern, ich stund vor meinem kleinen Altärchen im Rosengärtchen mit meinem Bräutigam, wir streuten Blumen auf den Altar und baten den Himmel, er möchte Sie edles Paar segnen, aber sagte ich, den Tag möchte ich noch mehr feiern. "Nun, so küssen wir uns", sagte er, nun Sie die Liebe kennen, so können wir den Tag nicht besser feiern ...

Interessant ist, aus diesem Brief zu ersehen, daß schon damals ein preußischer Offizier in Hessen nicht gerade sehr begehrt war, wogegen aber Lila hofft, daß er nicht bleiben, also wohl, daß er später seinen Dienst quittieren und sein Gut verwalten werde. Wie man sie aber bei der Vermählung ehrte und geradezu mit zur Familie gerechnet haben muß, geht aus der Hochzeitsfeier und der Anwesenheit der zahlreichen Familienmitglieder hervor, vor allem daraus, daß man sie reich beschenkt und wie eine Angehörige der Familie mit dem damals noch recht stattlichen Familienschmuck geschmückt hat, "der sie fast umsinken machte". Der amtliche Eintrag im französisch-reformierten Kirchenbuch von 1774, das für den Hof zuständig war, durch den Hofprediger R o q u e s lautet:

Le 6. Juin dans l'antichambre de S. A. S. Madame la landgrave regnante le mariage de Mons. Jean Fréderic Gustav de Stockhausen, officier du service de S. M. Prussienne avec Mademoiselle Louise (Henriette Friederike) de Ziegler, première dame d'honneur de S. A. S. Madame de landgrave, fille de Mons. Fréderic Wolfgang de Ziegler, Chambellan de S. A. S. Monseign. le Duc de Saxe-Gotha etc. La cérémonie soit faite à environ huit heures du soir, avant le repas en présence de toute la Cour de LL. AA. SS. Madame la Duchesse de Courlande, née Pr. de Waldeck, de Mesdames les Princesses Amélie et Louise de Hesse Darmstadt et de Mesgrs. les Princes Fréderic et Chrétien de Darmstadt et des gentilshommes et dames de leur suite.

Nun besitzen wir aber auch einen gekürzten Eintrag im l u t h e r i s c h e n Kirchenbuch mit folgendem Wortlaut:
"Herr Johann Friedrich Gustav von Stockhausen, Premierleutnant bey Königl. Preuß. Infanterie-Regiment von Sobeck und Erbherr auf Immenhausen, ohnweit Cassel ist am 29. Mai vor Festum Trinitatis mit Fräulein Louise Henriette Friederike von Ziegler, Hofdame bei Ihro Hochfürstl. Durchl. der hiesigen regierenden Frau Landgräfin im hiesigen Schloß von Herrn Oberhofprediger Roques abends copuliert worden. In unsrer der Ev. luther. Kirche ist gedachter resp. Bräutigam am gedachten Festo Trinitatis in der Morgenpredikt ein für allemal proclamiert worden."113)

Diese doppelte Eintragung durch einen anderen Geistlichen muß auffallen und kann, wenn man nicht eine verschiedene Konfession der beiden Kontrahenten als Grund dafür annehmen will, nur so erklärt werden, daß die "Proklamation", also das Aufgebot, acht Tage vor der Hochzeit in der l u t h e r i s c h e n Stadtkirche urbi et orbi bekannt gemacht werden mußte; damit allein könnte das falsche Datum des 29. Mai erklärt werden, das sich nicht auf die "Kopulation", wie fälschlich angegeben ist, beziehen kann, sondern der Tag der früheren "Proklamation" gewesen sein muß. Der richtige Hochzeitstag wird durch Frau von Stockhausen selbst in ihrem Briefe vom 26. Juni an Karoline Herder bestätigt, worin sie schreibt,  daß sie an diesem Tag "jetzt drei Wochen geheiratet" sei, also am 6. Juni. Der Eintrag im lutherischen Kirchenbuch scheint aber auch erst nachträglich durch den lutherischen Oberpfarrer Herwig eingeschoben zu sein. Denn statt der fortlaufenden Nummer 12 im Juni stehen Punkte, vorher eine Trauung am 2. Juni und nachher am 16. Juni, was ja auch auf den dazwischen liegenden 6. Juni als den richtigen Tag schließen läßt. Vielleicht ist die Angabe erst auf Grund des reformierten Eintrags oder einer mündlichen Mitteilung nachträglich gemacht worden, da die Kirchenbehörde darauf Wert legen mußte, wenigstens den kirchlichen Vorschriften entsprechend den Tag der "Proklamation" festzulegen, wobei denn hier eine Verwechselung mit dem acht Tage später folgenden Hochzeitstag eingetreten sein mag. Jedenfalls gibt solch ein Fall wieder Anlaß, die Angaben der Kirchenbücher stets nachzukontrollieren, wo auch sehr oft statt des Geburtstages der Tag der folgenden Taufe eingetragen ist.

Die große Zahl und die hohe Stellung der Trauzeugen läßt uns das Ansehen erkennen, welches Louise von Ziegler bei Hofe genoß. Interessant ist, daß hier unter den obengenannten Familienmitgliedern in der Herzogin von Kurland auch eine Vertreterin ihrer Heimat Waldeck beteiligt war; es ist Caroline Louise, Gemahlin Peter Pirons, Tochter des Fürsten Carl August Friedrich von Waldeck, also eine Nichte der Großen Landgräfin. Außerdem haben sämtliche Geschwister der Landgräfin der Trauung beigewohnt. Vorher hatte Lila ihren Bräutigam am Darmstädter Hofe vorgestellt, wo er einen sehr guten Eindruck hinterlassen haben muß.

Daß man am Hofe mit Louise von Zieglers Verhalten während ihrer Dienstzeit zufrieden war, sie auch in der Familie überall gern sah und man sie nur ungern scheiden ließ, zeigt das schmeichelhafte Schreiben des liebenswürdigen Landgrafen an sie nach ihrem durch ihre Heirat bedingten Abgang im Jahre 1774, in dem er ihr für alle geleisteten Dienste dankt und ihr sagt, daß sie in Kriegsnöten oder bei unliebsamen Veränderungen in ihren Verhältnissen jederzeit wieder nach Homburg zurückkehren könne. Wir werden weiter unten sehen, daß Frau von Stockhausen von diesem Angebot später auch wirklich Gebrauch gemacht hat. Der Landgraf schreibt (Arch. Jac.):

"Je devrois, Madame, Vous faire bien des excuses, sur le retard de ma  reponse; mais je crois m'en avoir besoin vis à vis de Vous. Je voulois d'abord attendre Votre arrivé Anclam, ensuite pour le dire franchement, mon paresse s'en est melée. Vous savez que ce vice favori de mes compatriotes et comme j'aime beaucoup ma patrie, j'en ai aussi une bonne dose.

J'espère, Madame, que Vous ne doutez pas, que Votre départ m'a été extrêmement sensible. On n'aime pas à perdre des personnes qui pensent comme Vous, et auxquelles on a tant d'obligations, comme j'en ay envers Vous. Elles laissent  toujours une vuide très désagréable. Je sais que Vous me connoissez un peu, je ne suis pas éloquent, je n'ai pas le don d'exprimer  mes sentimens, mais malgré toute ma froideur et ma sécheresse le ciel n'auroit pas pû cacher sous mes dehors une âme plus sensible ni plus reconnaissante que la mienne.

Peut être, que le séjour aride et sauvage, que Vous habitez actuellement, Vous fera un peu regreter Hombourg, et Vous fera penser à Votre promesse, de revenir y demeurer, s'il y a guerre, où s'il y a des Changements dans Vos circonstances. Quoique Vous trouverez des honnêtes gens partout, il y en a dans les pays esclavées comme dans les pays libres, et malheureusement ce n'est pas par là que nous brillons le plus. C'est avec l'estime le plus parfait et l'amitié la plus sincère que je serois toute ma vie . . ."

Stockhausen, über dessen Jugendzeit wir nichts wissen, muß ein tapferer und tüchtiger Soldat gewesen sein, der sich im Frieden wie im Krieg voll bewährt hat. Über seine ruhmvolle militärische Laufbahn kann ich, Schwartz ergänzend, der sich auf ältere Familienpapiere der Stockhausen bezieht, nach dem maßgeblichen ausführlichen Buche von K. von Priesdorff: Soldatisches Führertum Bd. 5/6 No. 982, folgendes mitteilen:

J o h a n n  F r i e d r i c h  G u s t a v  v o n  S t o c k h a u s e n war 1757, 14jährig, als Gefreiter-Korporal in die Armee, ins Inf. Rgt. v o n  B l a n k e n s e e in Anklam eingetreten, 19. I. 59 Fähnrich, 13. XI. 60 Sekonde- und 26. IV. 64 Premier-Leutnant im Inf. Rgt. A l t - S t u t t e r h e i m geworden. In der Zeit zwischen 1757-63 macht er den Siebenjährigen Krieg mit und nimmt mit Auszeichnung teil am Gefecht bei Reichenbach, den Schlachten bei Prag, Kolin, Breslau, Leuthen, Zorndorf, Torgau --- hier wurde er verwundet --- am Überfall bei Hochkirch, der Schlacht von Freiberg, dem Gefecht bei Döbeln, den Belagerungen von Breslau, Prag und Olmütz, also an fast allen wichtigen Kampfhandlungen dieses Krieges. Am 3. I. 1777 wird er Stabskapitän im Inf. Rgt. von Sobeck, am 19. XI. 78 Kapitän und Kompagniechef im Inf. Rgt. von Teufel. Am bayrischen Erbfolgekrieg, dem Kartoffelkrieg, oder wie ihn die Österreicher nennen, dem "Zwetschkenrummel", von 1778-79, nimmt er ebenfalls mit seinem Regiment teil, worüber sich seine Frau sehr ängstigt. Am 4. XI. 84 wird er Major im Rgt. von Schönfeld, 1. II. 89 Kommandeur des I. Bataillons, 20. VI. 90 des II. Bataillons, 25. V. 92 Oberstleutnant. Im Koalitionskrieg machte er den Feldzug von 1792-95 mit und nahm teil an der Schlacht bei K a i s e r s l a u t e r n, der Belagerung von M a i n z, der Blockade und dem Bombardement von L a n d a u und zusammen mit seinem Sohn dem Gefecht von F r a n k e n t h a l. Am 23. Juli 1793 erhielt er mit seinem Sohn den Orden P o u r l e  m é r i te. Am 12. I. 94 Oberst des R ü c h e l schen Rgt. in Anklam, vom 4. IV. 96 bis 99 Kommandeur des Inf. Rgt. v o n  B o r c k e zu Stettin114) und am 26. II. 1799 Chef des in Fraustadt stehenden Rgt. H i l l e r  v o n  G ä r t r i n g e n, wurde er am 20. V. 1799 Generalmajor mit einem Patent vom 27. V. 99, in dieser Stellung auch Chef des Inf. Rgt. T s c h e p e. Über seine militärische Tüchtigkeit sagt seine Konduite von 1798: "Ist ein sehr fähiger Commandeur, einst ein brauchbarer Brigadier von Kopf". Als ihm dann das Regiment von Hiller übertragen wurde, schrieb König Friedrich Wilhelm III. am 26. II. 1799 an Stockhausen: "Da der Generalmajor von Hiller mit dem Tod abgegangen ist, so erhalte ich hierdurch eine angenehme Veranlassung, Euch für Eure langjährigen Dienste zu belohnen. Ich erteile Euch daher das hierdurch erledigte Regiment als Chef und hege zu Euch das besondere Vertrauen, daß Ihr demselben mit der größten Treue und Rechtschaffenheit vorstehen, das Interesse desselben überall wahrnehmen, solches in der besten Dressur und Ordnung halten und es mir jederzeit in solchem Zustand vorführen werdet, daß Ihr meiner Zufriedenheit versichert sein könnt." Man sieht aus dieser glänzenden Karriere Stockhausens, daß Louise von Ziegler, welche seinerzeit Bedenken trug, einen preußischen Offizier zu heiraten, ihre Hand keinem Unwürdigen gereicht hat.

Nach der Hochzeit war das Stockhausensche Ehepaar noch eine Zeitlang in Homburg geblieben, da das Kommando Stockhausens als Werbeoffizier noch bis zum nächsten Jahr lief, nach der Expeditionsliste bis 1. Oct. 1775. Wo sie in Homburg wohnten, wissen wir nicht. Anzunehmen ist, daß sie, wenn nicht im Schloß, im "Goldenen Engel" logierten, jenem vor dem Schloß gelegenen, heute noch in der seit 1686 bestehenden Form unter dem Namen "Darmstädter Hof" erhaltenem Gasthaus, in dem die Gäste der landgräflichen Familie gewöhnlich abstiegen und auf deren Kosten verpflegt wurden. Wenn wir Schwartz glauben können, der noch direkte Nachrichten von einem Mitglied der Familie benutzen konnte, soll Frau von Stockhausen damals öfter, aber wohl nur vorübergehend, auf dem hessischen Erbgut der Familie in Immenhausen gelebt haben. Das kann heute nicht mehr nachgeprüft werden, da die Familienakten vernichtet sind.

In die ersten Wochen ihrer jungen Ehe fällt eine Badereise nach E m s, wo die Stockhausen vom 27. Juli bis Anfang August in dem bekannten "Fürstl. Oranien- und Nassauischen Badehause" Quartier nahmen. Das Emser Bad war damals das Modebad der vornehmen Gesellschaft. Lavater sagt: "Offiziers, Generals, Grafen, Barone und und des weiblichen Geschlechts viele waren darunter", wie auch das erhaltene Gästebuch des Badehauses ausweist115). Der Juli 1774 ist aber insofern von allgemeiner Bedeutung, als sich in diesem Sommer unter den prominenten Gästen kein anderer als der jugendliche Goethe und gleichzeitig Basedow und Lavater mit dem Maler J. G. Schmoller116) befanden, die im engen Verkehr miteinander in demselben Hause einige anregende und vergnügte Wochen zubrachten. Von diesem hohen Besuche haben wir eingehende Berichte über das Emser Badeleben. Goethe selbst schreibt darüber des näheren in Dichtung und Wahrheit (III, 14) und Lavater ausführlich in seinem Tagebuch. Dieses Zusammensein hatte aber auch noch ein gewisses literarisches Interesse dadurch, daß Goethe in Ems im Dauernden Verkehr mit den beiden anderen, Lavater ("höchst wichtig und lehrreich") und Basedow ("weil Belehrung selbst bei Nacht wie zwischen dem Tanz gebend"), wie er selbst gesteht, mancherlei Belehrung und Anregung für sein Leben gefunden hatte. Diesem freundschaftlichen Verkehr war die vielbesprochene gemeinsame Reise des "Weltkindes" in der Mitte zwischen den beiden "Propheten" nach Koblenz gefolgt. Im allgemeinen muß aber das Amusement bei dem Badeleben in Ems die Hauptsache gebildet haben, was auch Goethe berichtet: "Es ward unmäßig getanzt, und weil man sich in den beiden großen Badehäusern (das zweite war das Darmstädter) ziemlich nahe berührte, wurde bei genauer Bekanntschaft mancherlei Scherz getrieben. . . An Abend-, Mitternacht- und Morgenständchen fehlte es auch nicht, und wir jüngeren genossen des Schlafes sehr wenig." --- "Goethe selbst war von überströmender Lustigkeit. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hielten ihn Tanz, Maskeraden, Ständchen, Ausfahrten beständig in Athem." Wir besitzen über dieses Leben und Treiben einen längeren Brief der Frau von Stockhausen vom 31. Juli, welche, wie versprochen, ihrer Landgräfin ausführlich über das Emser Badeleben berichtet, dabei auch ihre Tisch- und Badegenossen näher charakterisiert. Ihre Angaben darüber werden durch das Gästebuch ergänzt. Der interessante Brief wird hier abgedruckt:

Ems, le 31. Juillet 1774.

"C'est pour obéir aus Ordres de Votre Altesse que je prend la plume; ... Notre société117) ...

L. de Stockhausen."

Merkwürdig ist aber, daß sie darin ihres alten Verehrers Goethe, mit dem sie sicher von alten Zeiten gesprochen haben wird, mit keinem Worte gedenkt. Aber auch sie berührt darin die etwas allzu fröhliche Stimmung der Badegäste und läßt ihrem Ruhe und Erholung suchenden Landgrafen von einer Badekur in Ems abraten. Sein Bad blieb für das ganze Leben Schlangenbad, wo er 40 Jahre lang verkehrte. Am Schlusse des genannten Briefes gedenkt Frau von Stockhausen auch des schrecklichen Unglückes, das sich am 30. Juli in Ems zugetragen hatte, wobei vier Knaben beim Krebsfang in der Lahn ertranken und das damals die sorglose Badegesellschaft in die größte Aufregung versetzte und ernüchterte.

Bach teilt die Einzelheiten über den wirklichen Vorgang S. 174 No. 119-20 und 121 mit Anm. S. 219 mit. Auch Otto erwähnt ihn in seinem Aufsatz "Goethe in Nassau", der hier durch die Stockhausen bestätigt wird.

Frau von Stockhausen hatte aber in ihrem Badehaus noch andere Bekannte von Homburg getroffen, das waren L a v a t e r (12. - 18. Juli) und B a s e d o w (12. Juli bis August). Lavater war, wie wir oben sahen, ein großer Verehrer des Landgrafen, mit dem er zeitlebens freundschaftlichst korrespondierte; er hatte diesen inzwischen am 1. August von Ems aus besucht. Auch Basedow hatte den Landgrafen aufgesucht, wobei es sich um wichtige Erziehungsfragen gehandelt haben wird. Einmal wollte, wie schon gesagt, der Landgraf gern in Homburg eine "Erziehungsanstalt" gründen und dachte neben Pfeffel auch an Basedow und seine philanthropischen Anstalten, andererseits muß aber auch die Absicht bestanden haben, ihn als Prinzenerzieher für den Hof zu gewinnen, was auch aus einem Schreiben der Frau von Stein an Lavater hervorgeht. Sie schreibt: "Wie gefelt Ihnen der Antrag von Basedow nach Homburg bey den Prinzen als Hofmeister? Das ist sein Fall nicht." Daß man sich aber am Homburger Hof für Basedow interessiert hat, geht aus einem Schreiben des Landgrafen über seine Schweizerreise (Arch. Jac.) mit seiner Frau und der Schwester der Ziegler (Christiane) im August 1774 hervor, wobei es über diesen unterwegs einige "unglückliche Diskurse" gegeben hatte, die er geschickt ablenkte. "So hätte", schreibt er, "uns bald Herr Basedow zwischen Hattersheim und Mainz beinahe veruneinigt. Man warf mir vor, daß ich die aufrichtigen Leute nicht liebte, ich, der ich der größte Freund von dem freyen Wesen und der geschworenste Feind von aller Falschheit bin und sonst bey jedermann diesen Namen habe. Ich machte aber einen Unterschied und behauptete, daß in der Regel diejenigen nicht aufrichtig wären, die es gar zu sehr affektierten. Herrn Basedow halte ich aber nicht von dieser Classe, sondern vor würklich aufrichtig." Goethe hatte diesen wohl für einen Mann von hohen Geistesgaben, aber nicht für einen solchen gehalten, "die Gemüter zu erbauen und zu lenken". Besonders hatten ihn "sein grinsender Spott wie sein äußeres unsauberes Wesen" abgestoßen. Basedow wäre jedenfalls kein Mann für unsern Landgrafen gewesen, das war L a v a t e r!

Noch einen Homburger hatte Frau von Stockhausen in Ems getroffen, den "Bademedicus" Dr. J o h.  K ä m p f, der sie alle behandelte118); Lavater fühlt sich wie alle bei ihm "in den besten Arztes Händen". Kämpf war der Sohn des landgräflichen Leibarztes Dr. Joh. Phil. Kämpf, eines als Arzt sehr angesehenen, aber als Haupt der Inspirierten- und Separatistengemeinde verfolgten Mannes, der andauernd im Kampf mit der Kirche lag. Sein jüngerer Sohn Johann war "oranien-nassauischer Landphysikus und Hofrat" in Diez. In den Sommermonaten praktizierte er als "Bademedicus" in Ems, war dann in Hanauischen Diensten und zuletzt wieder in Homburg, wo er 1783 starb. Daß er auch mit der Familie von Stockhausen bekannt war --- er wird auch ihr Arzt gewesen sein --- geht aus einem Brief des nassauischen Geh. Rats Winter vom 6. August über Basedows Pläne hervor, in welchem er von Diez aus mitteilt, daß "Frau und Herr von Stockhausen ihn durch eine eilfertige Citation zurückgerufen haben, weil ihm seine Gattin einen gesunden Mitbürger geschenkt habe". Es ist zu bedauern, daß gerade eine Äußerung Lilas über ihren Verkehr mit diesen Prominenten in Ems, vor allem über ihren alten Freund Goethe, nicht auf uns gekommen ist.

Lilas dauernden Aufenthalt während des Sommers 1774 in Homburg bezeugen uns zwei Briefe an die Herders. Ein Brief vom 16. September ist an H e r d e r persönlich gerichtet, der ihr die Niederkunft seiner Karoline mitgeteilt hatte, was natürlich die größte Freude und Teilnahme bei Lila erregen mußte. Sie selbst ist zu dieser Zeit bettlägerig. Dieser Brief, den Morris merkwürdigerweise nicht ganz veröffentlicht, auch nicht als an H e r d e r selbst gerichtet erkannt hat, lautet wie folgt:

Homburg, den 16. Sept. 1774.

Tausend Dank, werter Freund, vor ihre gute Nachricht, ich bin schon über 3 Wochen beständig bei Ihnen, aber schreiben konnte ich nicht, weil ich beständig unpaß war und das betrübte mich. Den 28. August habe ich halb und halb auf dem Bette zugebracht und ich wollte, konnte aber ohnmöglich schreiben, dachte viel an Sie lieben Leute, machte schöne Wünsche, aber d i e s e s  G l ü c k ließ ich mir nicht einfallen. Ich bekam den lieben Brief vorgestern Abend bei Tisch, nachdem ich oft meinem lieben St(ockhausen) wiederholte: nein, morgen mag es mir auch noch so weh sein, so schreib ich an meine Freunde nach Bück(eburg), sonst kommt sie nieder ohne Nachricht von mir zu haben. Indem ging die Tür auf und mit Z i t t e r n machte ich den Brief auf, ohne recht zu wissen, ob es aus Furcht oder Freude war. Ihre ersten Zeilen zogen mich aus allen Zweifeln, wir lasen, wir empfanden Ihren Brief zusammen, wenn er Ihnen schon nicht kennt, kann er doch lieben, was mir so nahe so tief a m  H e r z e n  l i e g t. Den lieben kleinen G o t t f r i e d, ist er denn der leibhaftige Vater, o wie sehr wird das meine Psyche freuen, könnte ich sie doch nur eine Stunde sehen und Ihre Freude, die gewiß himmlisch ist. Gott, wie hat mich Ihr Brief, Ihre treue zärtliche Wünsche und die Schilderung meiner Situation gerührt: Ja, mein werter Freund, nach dem Charakter, der Denkungsart, der Begegnungen meines Mannes, die lauter Liebe Zärtlichkeit und Bescheidenheit ist, könnte und sollte ich die glücklichste Frau von der Welt sein, wenn nicht die seltenen Begebenheiten die alles, auch meine Zufriedenheit, die in einem ruhigen Gewissen besteht, haben zerstören wollen, mein Gemüt entsetzlich mitgenommen hätten. Um dieses wieder in seinen gewesenen Zustand zu setzen, gehören Glücks Perioden wie diejenigen, die ich so herzlich mit Ihnen geteilt. Dieses liegt in der Natur und Schöpfung, sagen Sie mit so viel Überzeugung, o lasse es Ihnen der Himmel mannigfalt und in jedem Tage Ihres Lebens empfinden, war Ihr erkenntliches Herz wert ist. Zu diesem allem gehört Ihre Liebe, Liebe, Ihr b e g l e i t e n d e r  E n g e l, anders kann ich Sie nicht nennen und an keinen von Ihnen kann ich im besonderen denken.
O meine lieben Freunde, wann werde ich Sie sehen, Ihr ganzes Glück in Ihren Augen lesen und Hand in Hand uns ausdrücken, wozu die Feder zu schwach, die Enfernung zu weit, und doch bringen Ihnen die Lüfte vielleicht einen einzigen Gedanken zu, der mehr als ich im Schreiben im Reden ausdrücken kann. Leben sie tausendmal wohl und Sie in Ihrem Bette liebe, liebe Seele und Ihrem s c h w a r z e n  K n a b e n. O, liebes, unschuldiges glückliches Kind, ich kann Dir nichts wünschen, die Tugenden deiner Eltern müssen Dir zu Teil werden. Ich küsse Sie alle recht zärtlich und Sie glücklicher Mann und Vater geben Sie mir Nachricht, wenn das liebe Weibchen nicht schreiben kann. Mein bester Freund teilt mein Vergnügen und wünscht Sie liebe Leute zu sehen

Louise.

Verzeihen Sie mein Gefasel, meine Ausdrücke, wie schäme ich mich, meine Muttersprache nicht recht zu kennen.119)

Dieser Brief enthält die Glückwünsche der Freundin zur Geburt des kleinen Gottfried, des "schwarzen Knaben", dem sie mit allem Guten "die Tugenden seiner Eltern" wünscht. Wenn sie dann klagt "über die seltenen Begebenheite, die alles, auch ihre Zufriedenheit, zerstören wollen und ihr Gemüt entsetzlich mitgenommen haben", so mag diese Zerstörung ihres Gemütslebens doch mehr mit ihrem Zustand als einer Hoffenden zusammenhängen als mit einer sonstigen Begebenheit. Sie ist aber dabei angenehm enttäuscht über ihren Mann, den sie jetzt als "die reinste, schönste liebende Seele der Welt" erkannt hat und "dessen Denkungsart lauter Liebe, Zärtlichkeit und Bescheidenheit" ist. Sie grüßt Herders Frau, ihre herzlich geliebte Freundin, als seinen "begleitenden Engel". Der Nachsatz am Schlusse mit dem "Gefasel", sonst auch Gekritzel, Geschmier, das sie Herder gegenüber durch ihre mangelhafte Beherrschung ihrer "Muttersprache" entschuldigt, erinnert sehr an den landläufigen typischen, selten fehlenden Schluß französischer Briefe: excusez ce griffonnage ...

In einem ebenfalls von Morris ausgelassenen Briefe vom 25. November aus Homburg klagt sie dann, daß sie nichts von den Freunden hört, und will es auf das Versagen der Post über Frankfurt schieben, wo, wie sie vermutet, frankierte Briefe unterschlagen sein müssen. Sie gesteht jetzt die Ursache ihrer Unpäßlichkeit ein und macht sich Sorgen, daß das im März-April zu erwartende "Würmchen" unter ihrer gedrückten Stimmung leiden möchte. Sie schreibt:

Homburg den 25. November 74.

Sagen Sie meine liebe Psyche, macht Ihnen den das V e r g n ü g e n ganz stumm? Finden Sie denn gar keins mehr, es Ihrer Lila teil zu machen, die es so von ganzem Herzen empfundet. Seitdem Sie das glückseligste Vergnügen genießen, Mutter vom Ebenbild Ihres H e r d e r zu sein, seitdem keine Zeile, kein Wort mehr von meiner lieben Psyche. O schreiben Sie mir, ich bitte Ihnen inständigst, ich bin sehr unruhig, ich will nichts widriges von Ihrem Schicksal vermuten und: an Ihrer Treuen Liebe kann ich nicht zweifeln. Ich schicke diesen Brief durch einen Expressen nach Fft. (Frankfurt). Denn unsere hiesige Post geht so unrichtig, daß man fürchten muß, daß francierte Briefe unterschlagen werden: ich habe H(erder) und Ihnen geschrieben und schon längst auf Antwort gehofft, allein vergeblich. Gottlob, jetzo gehet es besser mit meiner Gesundheit und bin nun vollkommen von der Ursache meiner Unpäßlichkeit überzeugt: diese glückliche Hoffnung macht mich alles Leiden mit Geduld und Vergnügen ertragen, ich gedenke zu Ende März oder Anfang April nieder zu kommen, mein lieber Mann ist außer sich vor Freude darüber. Er ist allezeit derjenige, den ich Ihnen geschildert, die schönste, reinste, liebende Seele der Welt, weit zärtlicher und empfindsamer, als ich mir Ihn je vorgestellt; es ist allezeit angenehm sich auf diese Art betrogen zu finden.

Sagen Sie mir doch etwas von Ihrem lieben kleinen Bübchen, was muß dieses vor eine Glückseligkeit vor Ihnen ausmachen. Tränken Sie ihn selber? ich hoffe es, nur keine fremde Milch, lieber mit Wasser und Milch aufgezogen, wenn es Ihre Gesundheit nicht erlaubt, sich dieser süßen Pflicht zu widmen. O Gott, könnte ich Ihnen doch sehen, den lieben Kleinen auf dem Arm, an der Brust. So stelle ich mir Ihnen beständig in Gedanken vor und Ihr glücklicher Mann mit himmlischer Freude Ihnen bewundern. Sagen Sie ihm alles Freundschaftliche, was sie von meinem Herzen wissen.

Ich küsse Ihnen mit dem kleinen G o t t f r i e d recht zärtlich in Gedanken, sehr oft bin ich bei Ihnen, so unbekannt mir auch Ihre Wohnung ist, sehr oft sprechen wir zusammen von Ihrer Glückseligkeit, und diese Gedanken dienen mir zur Aufmunterung, indem ich sehr oft schwermütig, traurig und tiefsinnig bin, ohne zu wissen warum. Ich gebe es meinen jetzigen Umständen und der Witterung Schuld, allein ich fürchte öfters, es möchte Einfluß auf das armer Würmchen haben, und das wäre schade, den St(ockhausen) hat den glücklichsten Humor, den man sich denken kann. Leben Sie wohl, meine liebe Freundin, gedenken Sie auch in Ihren glücklichen Stunden derjenigen, die unsere Herzen so ganz genossen. Diese heilige Freundschaft kann niemals gebrochen werden, und warum wollen wir ihrer nicht gedenken, uns lieben ewig und es uns einander sagen so weit uns auch ein widriges Schicksal trennen mag.

Louise.

Am 19. April 1775 wird der kleine Stockhausen in Homburg geboren und auf den Namen J o h a n n (wieder "Hans") C a r l  F r i e d r i c h  L u d w i g getauft, die beiden letzten Namen nach dem Landgrafen. Der Eintrag im lutherischen Kirchenbuch lautet:

"von Stockhausen, Herrn Johann Friedrich Gustav Hochwohlgeb. Premier-Lieutenant bey Königl. Preuß. Infanterie-Regiment von Sobeck, Erbherr auf Immenhausen, ohnweit Cassel und dessen Frau Gemahlin Louise Henriette Friederique geb. von Ziegler, ist am 19. April morgens zw. 6 und 7 Uhr ihr erster Sohn geboren, welcher den 23. ejus, war Dom. Quasimodog. getauft wurde. Die hohen Taufzeugen waren Ihre Königl. Hoheiten der Prinz und die Prinzessin von Preußen, die verwitwete Frau Landgräfin von Hessen-Homburg Ulrica Louise wie auch der regierende Herr Landgraf von Hessen-Homburg Friedrich Ludwig und hochderoselben Gemahlin, die regierende Frau Landgräfin, sodann die Prinzessin von Hessen Ulrica Sophie Hochfürstl. Durchlauchtigkeiten.. Des Kindes Namen waren Johann Carl Friedrich Ludwig."

Beachtenwert ist hierbei, daß außer der ganzen anwesenden Familie Prinz und Prinzessin von Preußen, später Friedrich Wilhelm II., Schwager und Schwägerin des Landgrafen, Taufzeugen sind, zu denen Lila noch später Beziehungen unterhielt. Die Geburt muß sehr schwer und schmerzvoll gewesen sein, wie sie in dem ebenfalls bei Morris nicht abgedruckten Brief vom 2. Juni ihrer Freundin, die ja alle Einzelheiten wissen muß, mitteilt. Aber sie fühlt sich jetzt glücklich mit ihrem "Bübchen", das prachtvoll gedeiht. Es heißt in dem Briefe:

Nr. 14 Homburg, den 2. Juni 1775.

Tausend Dank meine lieben Freunde für Ihre zärtliche Teilnehmung an unserm Vergnügen. Ihr Brief, meine Liebe, ist die Sprache Ihres Herzens, aus jedem Zug habe ich Ihre wahre Liebe und Freude über unser Bübchen gesehen, und es ist das beste und gesundeste Kind das man sehen kann, er ist groß und stark auf die Welt gekommen und hat mich sehr viel Leiden machen lassen, 7 Wochen vor der Niederkunft, welche sehr hart aber doch, Gott sei Dank, ohne weiteren Zufall vorbei gegangen. Von dem Stuhl120), wo Sie leicht aufgestanden sind, hat man mich wegtragen müssen, ob ich gleich nur 4 Stunden darin gesessen, aber ohne eine Minute Frist von den entsetzlichsten Schmerzen, indem ich lauter schneidende Wehen gehabt habe. Mein armer Mann war in einer sehr traurigen Fassung die fünf ersten Tage meiner Niederkunft, indem ich viel Schmerzen ausstehen mußte, weil ich mein liebes Kind selbst tränke wollte, aber leider war alles vergebens. Das Kind wollte nicht trinken, ob ich zwar Millich genug hatte, die Härte und Geschwulst war so stark, daß man eine Inflammation befürchtete, und ich mußte mich entschließen, mein liebes Kind an einer fremden Brust trinken zu sehen. Wie empfindlich mir dieses war, kann man nur empfinden. Ich habe Gottlob eine gute Amme bekommen, welche ich gekannt habe und eine rechtschaffene Frau ist, mein Kind ist wohl und fromm, lächelt oft mit uns und versüßt uns sehr die trüben Stunden, welche es uns gemacht hatte. Ach was für eine Freude, wenn wir unsere zwei Kinder könnten zusammen sehen. Meine liebe Psyche, ich stelle mir unsere Glückseligkeit ausnehmend vor. Gott weiß, wann und wo dieses geschiehet, doch wir wollen h o f f e n, dieses ist schon viel vor ein empfindend Herz. Ich muß endigen, meine liebe, allerliebste Freundin, mein liebes Bübchen schreit. Ach liebe, liebe, Sie können dieses alles begreifen. Hier wundert man sich, daß ich nimmer ausgehen mag. Jetzt habe ich es auf meinem Arm, es lächelt mit seinem Vater, dessen Freude gewiß nicht geringer ist als meine. Leben sie wohl, meine lieben Freunde, sagen Sie Ihrem lieben Freund H(erder) alles, was die Freundschaft warmes fühlen kann. Ich küsse Sie mit Ihrem lieben Kind in Gedanken.

Louise St.

Nittlerweile müssen die Familien Herder-Stockhausen mit ihren Kindern in Homburg die langersehnte Zusammenkunft gehabt haben. Dies war für Lila ein unvergeßliches Ereignis und bleibt ihr die schönste Stunde ihres Lebens. Sie schreibt darüber begeistert an ihre Freundin am 7. August folgenden ausführlichen Brief, der ebenfalls nicht abgedruckt ist:

Nr. 15. Homburg, den 7. August 75.

Dem lieben guten Himmel sei ewig Dank, daß wir uns gesehen haben. Gott weiß, wann wir diese glücklichen Augenblicke wieder genießen werden. Meine lieben Freunde, stellen Sie sich vor, etliche Tage nach Ihrer Abreise bekam mein Mann den Befehl, zum Regiment abzugehen. Mitte September reisen wir hier weg. Sie können sich vorstellen, wie schrecklich der Gedanke vor mich ist, alle meine Verwandten und Bekannten, den ganzen Zirkel meiner Freunde, der nun zwar schon ziemlich lange zerstreut ist, zu verlassen, so weit in ein fremdes rauhes Land, wo ich nichts von der lieblichen Gegend finde, die so ganz vor mein Herz gemacht war. Dieses sind Klagen, meine liebe zärtliche Freundin, verzeihen Sie meinem wehmütigen Herzen, aber denken Sie an mein armes liebes Bübchen, das ist Gottlob jetzo vollkommen wohl, aber in der rauhen Jahreszeit zu reisen, wo es vielleicht im Zahnen ist, an ein anders Klima zu gewöhnen, wir wollen es dem heimstellen, der alles wohl und gut macht. O meine lieben Freunde, ich mußte Ihnen dieses alles von meinem schweren Herzen sagen, die glückliche Stunde, wo wir uns wiedersehen, bleibt ewig eine der angenehmsten meines Lebens. Nachdem Sie fortgegangen, sollte ich mich anziehen, um bei Hofe zu gehen, allein ich konnte es nicht, blieb also ganz allein in meinem Kämmerlein und überließ mich völlig der allersüßesten Erinnerung. Ihr Bild war ohnaufhörlich vor meinen Augen und St(ockhausen) mußte mir beständig wiederholen, wie sehr er gerührt erfreut und glücklich war, Ihnen zu kennen und zu lieben, er möchte es Ihnen gern sagen, allein das kann ich nicht sagt er.
Das menschliche Leben ist mit nichts als mit Unruhe und Widerwärtigkeiten verknüpft. Kaum hatte ich das Glück, einen Freund und Freundin kennen zu lernen, die mein Herz ewig verehren wird, so fügt es das widrige Schicksal, mich aus der Gegend zu entfernen, wo ich mit meiner lieben Frau das Vergnügen teilte, in dem Zirkel ihrer Freunde zu leben, der Augenblick war zu kurz, da sie uns mit dem Besuch beehrten. Wie sehnlich wünschten wir nicht, länger von Ihnen zu profitieren, und wie stark sind unsre Wünsche denenselben beiderseits noch zu sehen und in der Umarmung mit der reinsten und ungeheuchelten Freundschaft zu versichern, daß mein Herz mit der aufrichtigsten Gesinnung nicht erkalten wird.        v. Stockhausen

O meine Liebe warum will der Himmel nicht daß wir an e i n e m Orte wohnen, welche Glückseligkeit! Was macht Ihr lieber kleiner Engelländer (=Engel), seine Bildung hat sich so lebhaft bei mir eingedrückt, daß ich ihn sehen kann, wenn ich will. O liebe Psyche, Sie fahren doch fort mir zu schreiben, wo ich hingehe, sehe ich Sie mit mir. Meinen werten Freund, Ihren lieben Mann, habe ich lieber als jemals. Er hat St. gesehen, sein Abschied: b e h a l t e n  S i e  m i c h  l i e b, den Ton, mit dem er's sagte, hat uns so herzlich gefreut. Niemalen habe ich meinen lieben Mann so geschwind bekannt gesehen, er liebt Sie beide recht zärtlich. Diese neue Probe seiner wahren Empfindung macht mich ihn allezeit noch höher schätzen. O meine lieben lieben Freunde, könnte ich Ihnen doch so ganz mitteilen, was mein Herz empfindet. Leben Sie wohl, ewig wohl! Wie sind Sie angekommen? Haben Sie Ihren Bruder noch angetroffen? Ich habe weder G(oethe) noch M(erck) gesehen. Ich erwarte auch Briefe von Ihnen vor meiner Abreise. Wir sind beide traurig wegzugehen, meine Gesundheit ist nicht die beste, ich werde täglich magerer, ich will auch noch eine Cur trinken. Schreiben Sie mir doch, wie Sie sich bei Ihrer Schwangerschaft erholten und wegen dem Säugen, noch habe ich keinen Anschein, es nötig zu haben, allein ich hoffe doch nicht, daß dies mein einziges Kind bleibt, der liebe Engel.

Louise

Wichtig ist, aus diesem Briefe zu ersehen, daß kurz nach ihrem Zusammensein oder vielleicht während desselben Stockhausen den Befehl erhalten hat, zum Regiment zurückzugehen. Lila beklagt in beweglichen Worten die bevorstehende Abreise, besonders auch ihres Bübchens wegen, daß sie gerade jetzt in der rauhen Jahreszeit in ein fremdes rauhes Land ziehen müsse. Sie bittet Psyche, sie nicht zu vergessen und ihr öfter zu schreiben, und freut sich, daß auch ihr Mann sich glücklich schätze, die beiden Freunde kennengelernt zu haben, "die er ewig lieben wird". Stockhausen selbst bedauert die Kürze des Zusammenseins mit Herders in einem besonderen Satz, der ganz unvermittelt im Briefe Lilas eingeschoben und mit einer klaren und energischen Handschrift geschrieben ist.

Daß die Abreise der Frau von Stockhausen sich noch eine Weile hinausgezogen hat, geht daraus hervor, daß Caroline in einem Brief an Merck vom Oktober 1775 bei diesem anfragt: "Ist die Stockhausen schon in Pommern?" Ein Brief Mercks vom 20. November geht auch noch nach Homburg.

Vielleicht sind beide Stockhausens erst um diese Zeit nach ihrer Garnison Anklam abgereist, nachdem sie zuvor auf der Durchreise die Verwandten in Gotha besucht haben. Von dort aus hat der höfliche Herr von Stockhausen dann am 9. November an die Landgräfin noch folgenden Dankbrief gerichtet:

Durchlauchtigste Landgräfin, Gnädigste Landgräfin und Frau!
Ew. Hochfürstl. Durchlaucht unterstehe mich durch dies Ehrfurchtsvolle Blatt, vor die mir erzeugte Hohe Gnade während meines dasigen Aufenthalts den allerunterthänigsten Dank demüthigst abzustatten. Ich rechne es mir zur größten Glückseeligkeit, da ich mich in dem Stande sah, Hochderselben persönl. meine Unterthänigkeit zu bezeugen. Die Fortdauer Höchst deroselben Gnade ist die einzige unterthänigste Bitte, so ich mir erkühne. In der festen Zuversicht flattire ich mir die gnädigste Verzeihung meines begangenen Fehlers, da ich Ew. Hochfürstl. Durchl. eine Person entrissen, die Hochdieselben Dero Gnade und Zutrauen gewürdigt. Die Hochachtungsvolle Empfindung, sowie beyderseits gegen Ew. Hochfürstl. Durchl. und Höchst Deroselben Hohen Hause zuhegen, werden jederzeit unser Glück ausmachen und mein Bestreben soll stets dahin gerichtet seyn, Hochdieselben mit ungeheucheltem Hertzen zu beweissen, mit welcher Ehrfurcht ich die Gnade habe, in tiefster Devotion zu ersterben.

Gotha, den 9. Novbr. 1775.

Ew. Hochfürstl. Durchlaucht unterthänigster Knecht
v. Stockhausen.  
                             

Das war der endgültige Abschluß von Louise von Ziegler-Stockhausens Aufenthalt in dem gemütlichen Homburg und ihrer Jugend. Es war für sie eine glückliche Zeit gewesen, wie sie später bekennen mußte, als es ihr in einer öden Gegend schlecht ging. Nun begann für sie der Ernst des Lebens.

Nach Lilas Heirat war ihr als Hofdame der Landgräfin noch in demselben Jahre ihre jüngere Schwester Christiane Ernestine Sophia Henriette (geb. 5. Sept. 1749) gefolgt, die auch vorher schon öfter, vielleicht als Vertretung, in Homburg war, sich aber am Hofe nicht ganz derselben Beliebtheit wie Louise erfreut haben muß121). Man vergleiche das Urteil der Teissier über sie. Zu fast allen Mitgliedern der landgräflichen Familie, namentlich zur ältesten Tochter, der Fürstin Caroline von Rudolstadt, stand sie in freundschaftlichen Beziehungen, wie eine Anzahl von Briefen im dortigen Archiv beweisen. Mit dem Landgrafen scheint sie nicht so gut gestanden haben. Einmal finde ich eine Notiz von ihm über ihren Charakter in der Beschreibung seiner Schweizerreise im August 1774, wo er schreibt: "Die Fräulein von Ziegler, so klein als ihr Kopf nur seyn kann, so voll ist er von Argwohn und Humeur." Nach der Kammerrechnung erhielt sie 233 fl. "Gehalt und Frühstücksgeld". Sie wohnte im Schloß in demselben Zimmer wie ihre Schwester, an der Ecke des Archivflügels. Jedenfalls schreibt Landgräfin Caroline von beiden nach dem Tod der Christiane: "Les deux aimables et dignes soeur vivement de toute âme, qui sait les apprécier comme alles le méritent."

Als Lila von Homburg fortging, hatte sie der Landgraf in seinem oben genannten Dankschreiben höflich eingeladen, daß sie jederzeit, sei es in Kriegsnöten, sei es bei einer Änderung ihrer Verhältnisse, wieder kommen könne. Der erste Fall war eingetreten, als sich die Revolutionskriege in unserer Gegend abspielten. Anscheinend war sie ihrem Manne gefolgt, dessen Regiment, wie wir wissen, damals mit im Felde stand. Die Sorge um ihn mag sie aus ihrer jetzt doppelt öden Garnison fortgetrieben haben. Wir haben darüber eine Notiz Armbrüsters: "Am 8. Oktober 1792 ist Frau von Stockhausen (als Gattin eines Oberstleutnants) von Hanau hierhergekommen, weil sie sich dort (wo also das Regiment von Schönfeld gelegen haben wird) nicht sicher fühlte." Damals wird sie, vielleicht auf längere Zeit, bei ihrer Schwester Christiane in deren Wohnung im Schloß gewohnt haben.

Aber auch hier war sie nicht ungestört, denn von den Kriegsstürmen wurde auch das kleine Homburg berührt, wo große Angst und Verwirrung herrschten. Aber für dieses selbst war die Sache, dank der Haltung der Landgräfin, noch glimpflich abgegangen122). Alle diese Ereignisse, den Besuch Custines und des Königs im Schloß, wird Frau von Stockhausen unter dem Schutze ihres Landgrafen in nächster Nähe erlebt haben. 1793 war sie nach Armbrüster mit ihrem Manne in Landau und hatte im Vorbeigehen in Homburg die an einem leichten Schlaganfall erkrankte Landgräfin besucht.

Von einem weiteren Aufenthalt in Homburg in den kommenden Jahren wissen wir nichts, da ihre Korrespondenz verschwunden ist. Als sie nach langer Zeit als eine vom Schicksal schwer gebeugte Frau wiederkam, war es, um hier, wo sie einst bessere Tage gesehen hatte, zu sterben.

Lila stand nach ihrem Fortgang von Homburg außerhalb des glücklichen Paradieses, in dem sie in der Blütezeit ihrer Jugend, umgeben von ihren gleichgestimmten Freunden, so viele elysische Stunden verträumt hatte. Sie war aber jetzt nicht mehr das "süße Engels- oder Lilamädchen", sondern als Frau Premierleutnant von Stockhausen, die würdige Gattin eines preußischen Offiziers, fern von einer Gegend, die ihr zum Himmel geworden war, und nun in ein ödes kaltes und reizloses Land, "séjour arride et sauvage" nennt es der Landgraf, von allen unverstanden und einsam in eine nüchterne militärische Umwelt hineingestellt, "wo alles nur Dienst ist und exerziert wird."

Ganz so hatte die Große Landgräfin empfunden, als sie im kleinen langweiligen Prenzlau, wo ihr Mann im preußischen Regiment Selchow, stand, ein Leben von "einer vollkommenen Eintönigkeit und Einfachheit führte" und gegen die Langeweile ankämpfte.

Da hieß es ganz wie in Schillers "Piccolomini":
                  "Des Dienstes immer gleich gestellte Uhr,
Die Waffenübung, das Kommandowort,
Dem Herzen gibt es nichts, dem lechzenden.
Die Seele fehlt dem nichtigen Geschäft,
Es gibt ein andres Glück und andre Freuden."

Diese "andern" Freuden fehlten jetzt der jungen Frau, da, wie sie an Psyche schreibt, in der neuen Heimat, wo sie von allen unverstanden war, "ihr zärtliches Gefühl zu einer Zentnerlast wird". Ja, jetzt wird ihr auch ihr Mann, der sie nicht mehr versteht, immer mehr entfremdet. Die seelenvolle Psyche war weit entfernt, sie lebte "entseelt" jetzt als stolze Frau Generalsuperintendent in Weimar und mußte sich im Schatten von Titanen an das steife Hofleben gewöhnen. Das war anders als im kleinen Darmstadt. Auch in ihrer Ehe stimmte nicht alles, denn ihr einst so empfindungsvoller Herder war ein mißvergnügter, neidischer und zänkischer Mann geworden, der sich allmählich mit allen, auch mit Goethe, überworfen hatte. Diese beiderseitigen Unstimmigkeiten haben neben drückenden Kinder- und Haushaltsorgen auch Lila ernüchtert und bald das einst so innige Band zwischen den gleichgesinnten Seelen gelockert; sie waren auch mit schuld, daß trotz aller Liebesbeteuerungen die einst so lebhaft geführte Korrespondenz zwischen den beiden Frauen in den nächsten Jahren eingeschlafen war. Erst im September 1777 finden wir wieder einen Anknüpfungspunkt mit Darmstadt in einem Brief M e r c k s an Lila, aus dem hervorgeht, daß diese ihm kurz zuvor geschrieben haben muß. --- vielleicht hatte sie um Auskunft über Darmstadt gebeten. Diesen Brief ohne Schlußformel und Adresse hat Wagner (a. a. O. S. 97 No. 44) abgedruckt, läßt aber dabei den Namen des Empfängers offen. Man wird Schwartz recht geben müssen, daß der Brief dem Inhalt nach nur an Frau von Stockhausen gerichtet sein konnte. Allerdings scheint er nach Schwartz nicht abgeschickt worden sein, vermutlich, weil Merck noch Auskunft wegen der Anschrift einzuholen hatte. Ich drucke das Schreiben wegen seiner wertvollen Mitteilungen über einzelne Persönlichkeiten  aus dem Darmstädter Kreis hier unter Auslassung des Passus über das Verhältnis Goethes zum Herzog und das Weimarer Genietreiben, das ich früher vorweggenommen habe, hier vollständig ab:

"Meine würdigste Freundin! Ich danke Ihnen von Herzen für die guten Stunden, die mir Ihr Brief gemacht hat. Ich hätte noch lange nicht geschrieben, weil ich nicht gewiß wußte, ob Sie's gern sehen. Fremde Leute mochte ich auch nicht fragen, denn ich schämte mich, daß ich sogar den Ort Ihres Aufenthaltes nicht wußte. Also schrieb ich Ihr Stillschweigen unter die Anzahl so viel verlorener Dinge, deren ich ein großes Buch hatte, und tröste mich damit, daß es so sein müßte.
Wir leben hier still und in unserm Hause vergnügter als jemals. Der Ton ist aber hier so abscheulich als je gewesen. Der Geist der Landgräfin ist entflohen. --- Die beiden Gebrüder M o s e r123) herrschen unumschränkt. Der Erbprinz flieht alle Menschen --- Sonst ist niemand hier und kein Fremder kommt nicht mehr, der nach uns frage. Ao 1774, den Tag, da ich Herdern nach Frankfurt begleitet, wurde mir ein Mädchen geboren, das unter allen meinen Kindern das schönste und robusteste war. Vorigen Herbst aber, da meine Kinder die Blattern hatten und glücklich durchkamen, ward's zuerst jämmerlich zugerichtet und starb nachher (Franziska Charlotte, 25. Juli 75 bis 26. Okt. 76). Ich mag nichts weiter davon sagen.

Ich habe also noch Heinrich, der immer das steife eckichte Wesen ist, wie Sie ihn gekannt haben. Er wird sehr groß und wird in 3 Jahren seine Pique schleppen können. Im Grund aber ist er sehr brusque und ungesellschaftlich gegen jedermann, nicht dumm, lernt aber nach der gemeinen Sorge nichts. Adelaide ist jetzo nach ausgestandenen Blattern mit Rötheln sehr gesund und munter. Das liebste Kind von der Welt, das uns noch keine Unruhe, als durch seine Krankheit gemacht hat. Gott wolle's uns erhalten! L e u c h s e n r i n g ist in Paris und lebt dort auf einem sehr guten Fuß, wie Jedermann sagt. Sein Vater ist kürzlich gestorben, er ist aber nicht nach Deutschland gekommen, die Erbschaft anzutreten. Madame d e  l a  R o c h e schreibt seit nun ungefähr 10 Monaten nicht mehr und das ist auch sehr gut, denn ihr ist's sehr gefährlich zu schreiben; sie zeigt alle Briefe herum. Die arme S c h l o s s e r n ist seit 3 Monaten in der Ewigkeit und ihr Mann untröstlich. Die eine G e r o c k124) führt die Wirtschaft. Sie haben gut zusammen gelebt, obgleich sie's nur getragen hat. Für ihn weiß ich keinen Rat als die Zeit, so alles abtut. Nun empfehlen Sie mich Ihrem lieben Gemahl von Herzen. Sein Anblick steht mir noch vor, und es müßte mich alles in der Welt trügen, wenn sie mit ihm nicht glücklich wären. Sie haben einen kleinen Zirkel von Freunden und Menschen, mit denen Sie symphatisieren. Wer wünscht sich eine große Anzahl? Freilich 8 oder 9 Menschen wie sie Ao. 1772 beisammen und oft in meinem Hause beisammen waren, ist ein seltenes Schauspiel. Indessen das Andenken an das, was man Gutes genossen hat, soll uns dankbar und nicht mißmutig machen. Die garstige Prätension an Glückseligkeit, und zwar an das Maas, wie wir's uns träumen, verdirbt alles auf dieser Welt. Wer sich davon losmachen kann und nichts begehrt als was er vor sich hat, kann sich durchschlagen.
So klein als ich das Verdienst ansehe, in der Welt durch seine Schreibereien sich ein Ansehen zu machen, so gut ist doch das Ding, weil es uns Freude macht, die man ohnedies nicht entdeckt hätte. Und von der Seite will ich's künftig auch machen wie andere und mich affichieren. Bisher war mein Garten und mein Gaul noch zu lieb dazu.
Vielleicht gebe ich Ihnen nächstens nähere Nachricht von G o e t h e, denn ich hoffe, ihn zu sehen. Morgen gehe ich nach Frankfurt und hoffe, seinen Alten zu sprechen.
"

Merck entschuldigt in diesem Brief sein Stillschweigen damit, daß er Lilas Adresse nicht kennt. Deshalb mag der Brief nach Schwartz' Vermutung auch nicht abgeschickt worden sein. Aber sein Inhalt spiegelt deutlich die Zustände im stark veränderten Darmstadt wider. Merck berichtet in diesem Briefe über seine Familie, über die Verhältnisse bei Hofe, gibt Einzelheiten über die alten Seelenfreunde und schließt mit dem für den empfindsamen Zirkel bedeutungsvollen Satz: "Freilich 8 oder 9 Menschen wie Anno 1772 beisammen und oft in meinem Hause beisammen waren, ist ein seltenes Schauspiel. Indessen das Andenken an das, was man Gutes genossen hat, soll uns dankbar und nicht mißmutig machen. Die garstige Prätension an Glückseligkeit, und zwar in demjenigen Maß, wie wir's uns träumen, verdirbt alles auf dieser Welt. Wer sich davon losmachen kann und nichts begehrt als was er vor sich hat, kann sich durchschlagen." Schwartz glaubt gerade aus dieser Bemerkung Lila als Adressatin erkannt zu haben.

In Darmstadt hatte sich mit der Zeit alles geändert und die Gemeinschaft war durch Fortzug der meisten Heiligen auseinandergefallen. Mit dem Tode der "Großen Landgräfin" fehlte der Mittelpunkt im geistigen Leben der Residenz, so daß Merck in seinem Brief als Folge ihres Ablebens schildern konnte: "Der Ton ist aber hier so abscheulich als er je gewesen. Der Geist der Landgräfin ist entflohen. Dort hat sich alles gewaltig verändert, daß unser kleiner, sonst nicht unangenehmer Ort einer völligen Wüste ähnlich sieht"125). Im Frühjahr 1773 war die von allen schmerzlich betrauerte Roussillon gestorben. Karoline Flachsland hatte nach langem Harren ihren Herder geheiratet und war mit ihm nach Bückeburg gezogen, Leuchsenring flatterte, sich überall wichtig und dabei unbeliebt machend, in der Welt umher, und 1774 war schließlich auch Lila aus ihrem Land der Träume verschwunden und ihrem Gemahl, dem Premierleutnant v o n  S t o c k h a u s e n, in seine Garnison nach Pommern gefolgt, wo sie sich in Sehnsucht nach ihren Seelenfreunden in dem schönen Hessenland verzehrte. Merck, der genius loci, blieb allein in Darmstadt zurück, war aber durch viel auch selbstverschuldetes Unglück in seiner Familie und durch verfehlte Spekulationen stark ernüchtert worden. Ja, er hatte sogar in einer Schrift "Paetus und Arria" eine versifizierte Kritik des Wertherfiebers geschrieben. Goethe, der doch im Überschwang der Gefühle noch Maß zu halten wußte, hatte sich längst von der Empfindelei freigemacht und sich aus dem Kreis ungesunder Schwärmerei in die Wirklichkeit zurückgefunden. Und da, auf der vom Schicksal vorgezeichneten Bahn, führte ihn jetzt sein Genius nach Weimar, wo der Geist der Großen Landgräfin in ihrer Tochter Luise weiterlebte. Darmstadt hatte jetzt seine Bedeutung für das geistige Leben an das größere Weimar abgegeben.

Durch dieses Auseinanderfallen des empfindsamen Kreises war naturgemäß auch der früher so eifrig gepflegte Briefwechsel zwischen den Freundinnen eingeschlafen. Erst vom 19. Februar 1773 haben wir, seit 3 Jahren, wieder einen Brief von Lila an Psyche nach ihrer Trennung, und merkwürdigerweise nicht aus ihrer Garnison Anklam, sondern aus F r i e d r i c h s f e l d e bei Berlin. Dieser Brief ist von Morris wieder nur zum Teil abgedruckt, und ich schicke die bei ihm fehlenden Stücke hier voraus:

Friedrichsfelde bei Berlin, 19. Febr. 1778

Liebste Beste, meine Freundin. Denken Sie noch an unsre Liebe! an die seeligen Stunden, die wir verlebt haben? o dann können Sie mich nie vergessen. Nein, das können sie nimmermehr. Liebe Seelensfrau! Denn ich fühle Sie gar zu tief im Innersten meines Herzens, und doch 3 Jahre ja noch länger, nicht eine Zeile, nicht ein Lebenszeichen, ist es möglich, ich denke, dieses muß uns beiden sehr rätselhaft vorkommen, ohne daß keine von uns an der anderen Liebe zweifelt.
Wie ich erfuhr, daß sie nach Weimar
(1776) kommen waren, freute ich mich wie ein Kind, Sie, Liebe näher zu wissen, ich wollte schreiben, es war mir als könnte ich Sie bald erreichen und dann was daran Schuld war, daß ichs nicht tat, das mag mein guter und böser Genius wissen. Was macht H e r d e r der liebe Mann? Ihre lieben Kinder, glückliche Mutter? 3 Söhne, das weiß ich durch die Gräfin G ö r t z126), eine liebe teure Freundin. O käme noch so ein glücklicher Tag wie der in Homburg, ich könnte Sie beide sehen, wenn ich will, aber schicken Sie mir Ihre Schattenrisse. Zuweilen schmeichle ich mir mit dem Gedanken, Sie könnten einmal nach Berlin kommen und dann, wenn ich auch in A a c h e n bin, dann soll mich nichts abhalten. Wir müssen uns noch einmal wiedersehen, ach meine liebe, ich habe nie eine Frau o geliebt. Sie sind die erste Empfindung dieser Art, ach wie oft habe ich gute Seelen davon unterhalten, unsere erste Bekanntschaft oder vielleicht der erste Blick noch heute kann ichs fühlen.
(Morris:) . . . So viel ist aber wohl gewiß, daß Krankheit, Kummer, Sorgen und Schwermut die Hauptursache meines Stillschweigens waren, unsre Seelen wollen zuweilen erschüttert seyn, um Ihre Existenz wieder recht zu fühlen. Doch, liebe liebe Seele, ich hätte Ihnen vielleicht noch nicht geschrieben, wenn nicht kürzlich, da ich mit einer guten lieben Frau, die Ihnen nicht kennt, von Ihnen sprach und und ich so wehmütig dabey wurde, daß ich mich recht satt geweint, und ich da sagte, wie lange wir uns nicht gesehen, nicht geschrieben, so ganz gegen einander verstummt, o das konnte sie so wenig begreifen wie mein Hertz; Ach Gott, liebe liebe Frau, meine P s y c h e! Sie müssen mich noch so lieben, wie Sie mich geliebt haben, Ich kan ohne Rührung nicht an Sie dencken und könten Sie jetzo meine Tränen sehen, Sie würden Ihnen mehr zeigen als alles, was ich hierüber sagen kann.
Sagen sie mir doch recht aufrichtig, ob Sie mich auch noch so lieben. Ihr lieber Mann, denkt er denn auch an uns? Sagen Sie ihm doch so viel Gutes und Liebes und dem lieben kleinen Knaben, siehet er noch seinem Vater gleich? und die anderen? Drücken Sie sie an Ihr liebes Herz und denken Sie an mich. Gleicht keines seiner Mutter? Liebe Frau, ihre Gestalt, Ihre Tour, ja Ihre Liebe, alles scheint so hell in meine Seele, Sie müssen jetzt an mich denken. Sie wissen, ich habe allezeit viel von meinen Ahnungen geglaubt, und daß Sie noch meine Psyche und ich noch Ihre Lila bin, das kann mich nicht trügen.
Meine beiden lieben Kinder sind mein einziger Trost bei diesen betrübten Kriegszeiten. Der kleine Bube, den Sie gesehen haben, ist groß und hat einen krausen Kopf voller Haare, ein offenes gutes fröhliches Gesicht, er zeigt ein heftiges Temperament, aber ein Herz voller Güte. Das kleine Mädchen ist 1 Jahr jünger aber sehr klein, eine traurige Miene und zeigt noch nicht, was ihr Charakter sein wird. Von meinem Mann habe ich eine gute Nachricht, jetzo habe ich wieder etwas guten Mut durch die Hoffnungen zum Frieden. Ach liebe und ich muß die Zeit, wo ich in einem Winkel der Welt einsam verleben möchte, bei H o f e zubringen. Dieses ist doch wohl trauriges Schicksal. Doch so lange Gott will, länger kann es ja nicht währen.
Leben Sie wohl, liebe Edle Seele, o schreiben Sie mir bald und Sie lieber Freund sagen Sie mir auch, daß wahre Freundschaft nie kann zerissen werden, weder durch Zeit noch durch Entfernung; ich muß wohl meinen Namen hier untersetzen.

Ich küsse Sie herzlich in Gedanken. Louise von Stockhausen.

Hierzu ein Nachsatz:
Was macht Goethe "der liebe Pilgrim", ist er es noch, oder ist er ein Hofmann geworden? Wenn er dies geworden wäre, was ich nicht glauben kann, so sagen Sie ihm nichts von Lila, aber weil ich gewiß hoffe, daß das nicht ist, so sagen Sie ihm viel Liebes und Gutes von seiner Freundin. Haben Sie Nachricht von Ihrer Schwester? von M e r c k? wie geht es mit seiner häuslichen Glückseligkeit? Ich bin ganz außer Connection gekommen. Noch einmal, leben Sie wohl, liebes gutes edles Weib, könnten wir uns wiedersehen, dieses ist der Inbegriff meines heutigen Wunsches. Der Himmel lasse es doch Ihnen, Ihrem lieben H(erder) und den lieben kleinen Geschöpfen, die um Ihnen herum wandeln, so wohl gehen, als ich mit edler Seele wünsche. Ich küsse die lieben seelenvollen Augen. Adieu, adieu.

Dieser Brief vom Februar 1878 aus Friedrichsfelde ist für Lilas Leben von ganz besonderem Interesse, da er ein ganz neues Licht auf ihren Lebensweg wirft. Bezeichnend ist darin ihre Klage über das Leben an einem Hofe, die bei Morris fehlt: "Ach, Liebe, Ich muß die Zeit, wo ich in einem Winkel der Welt einsam verleben möchte, bei Hofe zubringen; dieses ist doch wohl trauriges Schicksal. Doch so lange Gott will, länger kann es ja doch nicht währen." Daraus geht hervor, daß sie damals eine Hofstellung gehabt haben muß, und in der Tat wohnte damals im Schlosse F r i e d r i c h s f e l d e die Familie des Prinzen F e r d i n a n d von Preußen, des jüngsten Bruders Friedrichs des Großen. Daß sie hier wieder Hofdame, also wohl der Gemahlin des Prinzen, A n n a  E l i s a b e t h  L u i s e von  Brandenburg-Schwedt, gewesen sein muß, geht aus einer Mitteilung des Geh. Hausarchivs in Charlottenburg hervor, wonach unter den Aufwendungen für die prinzliche Tafel im Jahre 1779 daselbst ihr Name in den Listen erscheint. Frau von Stockhausen war also, vermutlich während ihr Mann zwischen 1778-79 am Bayrischen Erbfolgekrieg teilnahm, wieder Hofdame geworden. Man hatte sie wohl aus ihrer trostlosen Umgebung herausreißen wollen, aber die Unruhe des Hoflebens war kaum ein geeignetes Heilmittel gegen alles, was ihr Herz bedrückte. Sie wird auch hier manchmal an ihre schöne und ruhige Hofstellung in Homburg gedacht haben, aber auch sie war mittlerweile eine andere geworden. Möglicherweise hatte Frau von Stockhausen diese Stellung der oben genannten Fürsprache der Herzogin Luise oder der Königin Friederike zu verdanken. Sicher schon darum ist die Vernichtung ihrer Korrespondenz doppelt zu beklagen, da daraus gewiß auch manches über den preußischen Hof zu erfahren wäre.

In dem von Morris abgedruckten Teil des Briefes entschuldigt Lila ihr Stillschweigen mit ihren traurigen Verhältnissen: "Krankheit, Kummer, Sorgen und Schwermuth" (nicht wie M. schreibt "Schwachmut") waren die Hauptursachen. Daneben sind ihre Vermögensverhältnisse denkbar schlecht, und sie ist eine unglückliche Frau geworden, deren einziger Trost in diesen betrübten Zeiten ihre beiden Kinder sind. Weiter erkundigt sie sich näher nach Herder und Psyches drei Kindern und bittet um die damals üblichen Schattenrisse der Familie. Unter Tränen erinnert sie die "liebe Seelenfrau" an ihr letztes glücklichen Zusammensein in Homburg, welches sie gern nochmals erleben möchte, und hofft, daß ihre alte Freundschaft weder durch Zeit noch Entfernung zerissen wird. Das nüchterne und kalte Soldatenleben war nichts für eine Frau wie die warmempfindende Lila, die aus einer anderen Welt kam. Wenn sie dazu im Briefe sagt: "Stockhausen ist gut, aber gleiche Denkungsart und Empfindungen machen unsre Glückseligkeit nicht" so zeigt dies, daß der in seinem militärischen Dienstbetrieb aufgehende Stockhausen seiner gefühlvollen Gattin doch nicht immer folgen konnte. Sie hatte ja auch in diesem Sinne einmal den Landgrafen gegenüber ihrem Herzen Luft gemacht. Im Jahre 1777 war in Anklam ihr Töchterchen geboren. Das Kirchenbuch des Inf. Rgts. von Sobeck hat folgenden Eintrag: "Amalie Caroline Louise von Stockhausen. Geboren und getauft im Monat Mai (Geburts- und Tauftag ist nicht angegeben). Eltern: Der Premier Leutnant im v. Sobeckschen Regiment Johann Friedr. Gustav von Stockhausen und Louisa Henriette von Ziegler. Paten:  Die Erbprinzessin von Baden, die Frauen des Feldmarschalls von Schweden, des General-Leutnants von Borcke, des Generals von Sobeck und des Statthalters von Erfurt, Baron von Dalberg." Man sieht aus dem Namen des Kindes, daß Lila in den Vornamen ihrer Tochter wieder die Erinnerung an ihre Landgräfin und deren Schwestern festgehalten hat. Wenn nun aber zwischen den beiden Freundinnen selbst, die sich in ihrer Jugend fast wöchentlich die schwärmerischsten und zärtlichsten Briefe geschrieben hatten, doch eine längere Unterbrechung der Korrespondenz eingetreten war, so lag das sicher nicht an einem Erkalten der so oft beschworenen Freundschaft, sondern doch vor allem daran, daß beide mittlerweile verheiratet waren, Kinder und schwere Haushaltssorgen hatten und daß jetzt der "rauhen Wirklichkeit zum Raub gefallen, was einst so schön, so göttlich war". Die eigene Gereiztheit und wechselnde Stimmung Herders einerseits, der überall anstieß, aber auch die nicht ganz unschuldige Caroline, wie die ganz im Kommiß aufgehende einseitige und geistlose Tätigkeit Stockhausens haben gewiß nicht dazu beigetragen, das Leben beider Frauen angenehm zu machen. Lila gesteht einmal selbst, daß ihr jetzt ihr "zärtliches Gefühl zu einer Zentnerlast geworden wäre".

Die für ihre Beziehungen zu Goethe wichtigste Stelle in diesem Briefe ist die bereits oben genannte, die besorgte Nachfrage nach dem "Freund", den sie nie ganz vergessen hat.

Es hat dann nochmals zwei Jahre gedauert, bis die Freundinnen wieder von einander hörten. Der nächste und letzte lamentable Brief Lilas an Psyche stammte vom 28. April 1781. Auch hier hat Morris wieder große Auslassungen, die ich wegen wichtiger persönlicher Mitteilungen hier ergänze:

Nr. 17. Anclam den 28. April 1781.

Meine liebste meine beste Jugendfreundin. Sie haben mich nicht vergessen, mein Herz das Ihnen immer zärtlich liebt, sagt es mir. Dieses Herz bleibt mir treu bei allen widrigen Veränderungen meines Schicksals, es wird mich such hierin nicht trügen. Vor zwei Jahren, als ich Ihnen schrieb, verlangten Sie eine Beschreibung meiner Tage, ich konnte Ihnen nicht trügen und Ihre liebe teilnehmende Seele wollte ich nicht betrüben. Deshalb schwieg ich. Aber ich kann nicht mehr, so oft habe ich mich gescheut, ob wir uns je wiedersehen, das weiß der große Gott.

Lila hat lange über ihre trostlosen Verhältnisse geschwiegen; bei ihrer Teilnahme kann sie aber nicht mehr mit ihren Klagen zurückhalten. Sie klagt über schlechte Gesundheit und ihre schlechten Vermögensverhältnisse, auch wird sie durch unabweisliche Verbindlichkeiten gehindert, welche ihr alle Hoffnungen nehmen. Am liebsten käme sie auf dem schlechtesten Postwagen, um sich mit ihr auszusprechen. Aber sie muß selbst am Porto sparen. In dem öden Land hat sie nur einen einzigen wahren Freund, einen gefühlvollen redlichen Menschen, mit dem sie von ihrer Freundschaft sprechen und Psyches Briefe lesen kann. Ihr Mann ist wohl von gleicher Denkart, aber das macht allein nicht das Glück.

Vielleicht, meint sie, können Psyche etwas für sie tun, nämlich eine P e n s i o n bei der gefühlvollen und wohltätigen Herzogin L o u i s e für sie vermitteln. Der Prinz von Preußen, an den sie sich wegen eines Hofmeisters für ihren Sohn gewendet hat, kann nichts für sie tun.

Ausgelassen ist dann wieder:
Die unschuldigen Vergnügungen, die in H(omburg) mein ganzes Glück ausmachten, habe ich hier auch nicht. Das Land ist eben und öde, kein Berg noch Tal, kein Wald, kein Baum, unter dessen Schatten man seinen Kummer vergessen könnte, und kein Bach, nichts meine Liebe, was mich in den Grad der Entzückung bringen kann, dessen meine Seele fähig ist. Den Winter noch bin ich so ziemlich ruhig, aber das Frühjahr ruft mir alle die Vergnügungen zurück; das treibt mir alles Blut nach dem Herzen, doch friere ich im Hause, suche die Sonne, um mich zu wärmen, wenn ich dann die öde Gegend so sehe, so möchte ich vergehen. Meine wirtschaftlichen Geschäfte würden mir angenehm sein, wenn sie nicht mit so viel Sorgen verknüpft wären. Ein wenig mehr Einkünfte würden mir meinen Zustand allerdings erträglicher machen, meine Kinder sind liebe gute Geschöpfe, aber ich sehe sie auch fern weil . . . ohne ihnen eine solche Erziehung geben zu können, die ich wohl wünschte.
St(ockhausen) ist gut, aber gleiche Denkungsart und Empfindungen macht unsere Glückseligkeit nicht. Außerdem machen seine verwirrten Vermögensumstände meine Situation sehr traurig. Sie wissen, wie wenig mir das sonst war, aber wenn man alles entbehren soll und nicht die befrieden kann, denen man es schuldig ist, das ist sehr drückend. Verzeihen Sie, liebe beste Seele, daß ich in einen solchen weitläufigen Detail mich einlasse, aber es ist nötig, um mein ganzes Betragen gegen die, die meinem Herzen so teuer sein, zu rechtsfertigen.
Vielleicht auch Liebe können Sie etwas vor mich tun. Ihre liebe Herzogin hat eine gefühlvolle wohltätige Seele, eine geringe Pension, so gering sie auch sei, würde mich erleichtern. Ich habe an den P(rinz) v. P(reußen) geschrieben, welcher Pate zu meinem Sohn ist, ich möchte so gern einen Hofmeister vor ihn haben, aber wie kann ich den bezahlen? Aber der kann n i c h t s vor mich tun. Beschwerlich kann ich nicht fallen, meine Eltern sein sehr eingeschränkt, und ihnen mag ich meine Lage nicht entdecken, weil sie sie doch nicht ändern können, und es würde sie kränken, das kann ich nicht. Ich weiß gewiß, daß, wenn Sie das tun könnten, Sie es gewiß nicht versäumen werden. Aber, kann es nicht sein oder fürchten Sie, daß es übel aufgenommen wird, so lassen Sie es. Ich glaube nicht, daß mir ein langes Ziel bestimmt ist, und das wird der Himmel zu tragen helfen. Ihre liebe Herzogin hat sich allezeit sehr gnädig gegen mich bezeigt und ich muß gestehen, daß von allen den V. P. (Vénérables Princes?) sie mir das mehrste Zutrauen eingeflößt, denn ihre Seele ist gewiß großer edler Handlungen fähig. Ich werde ihr schreiben, seien Sie so gut, meine liebe Freundinn und überreichen ihn ihr, es wird desto besser aufgenommen werden. Er betrifft nicht das, wovon ich Ihnen gesagt, sondern Danksagungen und Entschuldigungen wegen einer Gnadenbezeugung, die sie meinem Manne erwiesen, welche ich wünschte, daß es nie geschehen, weil er seine Versprechen nicht hat erfüllen können. Ach, meine liebe teure Freundin, wo sein die glücklichen Jahre, wo unsere einzige Sorge war, das Vergnügen unserer Freundschaft recht zu genießen? wo wir die verstohlenen Augenblicke mit so viel Seligkeit genossen? Was machen sie denn, meine Beste mit Ihrem H(erder) und Ihren Kindern? Sie leben vergnügter, Gott sei gedankt, ich kann das Vergnügen meiner Freunde noch genießen, und ob ich zwar einen großen Teil meiner Empfindlichkeit verleugnen muß, so wird mich doch dieses Gefühl noch im Tode erfreuen. Den 2ten Mai zuweilen mache ich mir das Vergnügen, Ihre Briefe zu lesen, mit dem Mann, wo ich oben erwähnt, kann ich doch mit aller Wärme von Ihnen reden, er ist der, der Ihren Wert und meinen Verlust fühlen kann; aber in dieser Jahreszeit, wo alles im Dienst ist, immer exerziert wird, dann bin ich ganz allein, dann wird mir mein zärtliches Gefühl zu einer Zentnerlast. Sie wissen das, meine Liebe, wenn ich mich nicht mitteilen kann. In H(omburg) hatte ich doch die schöne Gegend, die mich verstund, doch hier nicht, alles öde und kalt. Aber keine Klagen mehr! Sagen Sie mir doch recht viel von sich, von allem, was Ihnen angehört, von Ihrer lieben Herzogin, die Sie auch so herzlich lieben. Sagen Sie mir doch,  wo die Fräulein v o n  W ö l w a r t hingekommen ist, man hat mir gesagt, sie wäre verheiratet, ist sie glücklich? Es war wirklich eine gut denkende Seele. Was macht G o e t h e und M e r c k und Ihre Schwester in Darmstadt? Sind Sie seitdem nicht in der Gegend gewesen? Ich bitte Ihnen, liebe P s y c h e, bei der alten Freundschaft beschwöre ich Sie, schreiben sie mir und geben mir von allem Nachricht, Ihrem Mann sagen Sie recht viel von mir, er wird sich ja meiner noch erinnern. An Ihre lieben Kleinen denke ich mit einem mütterlichen Herzen. O könnten wir uns doch so wiedersehen, sagen sie mir doch auch, ob Sie eine Frau v o n  B u t t l a r127) kennen, die in Weimar soll gewesen sein, es ist die liebe Tante, wo ich Ihnen oft von gesprochen, die Frau von S t e i n - C a l l e n f e l s, die zum 2ten Mal verheiratet ist. Ich möchte so gern etwas von Ihnen hören. Ich bin bei allen meinen Liebsten aus aller Connection. An meine Eltern und Schwester schreibe ich gar zu viel hiendurch. Ich sehe einer baldigen Antwort von Ihnen, meine Beste mit dem größten Verlangen entgegen. Gott schenke Ihnen frohe Tage und einen guten Mut, es ist wirklich traurig, wenn der sinkt. Adieu, lebe wohl, gute liebe Frau, unser Herzen, dünkt mich, können nie getrennt werden. Denke sie mit eben der Wärme an mich. O so lohnts Ihnen Gott! Noch einmal leben Sie wohl.

Louise, Ihre immer gleich liebende Freundin.

Lila hatte sich im vorigen Brief nicht entschließen können, ihrer Freundin alles zu schreiben, um ihre teilnehmende Seele nicht zu betrüben, jetzt aber kann und will sie mit einer Schilderung ihrer Lebensverhältnisse nicht mehr zurückhalten und muß ihr Herz ausschütten. Es ist nun nichtmehr nur die schlechte Gesundheit, worüber sie zu klagen hat, sondern vor allem bedrücken sie ihre schlechten Vermögensverhältnisse, ihre "Verbindungen", (wohl soviel wie "Verbindlichkeiten"128), so daß sie die Ökonomie zwingt, selbst das teure Porto für die Briefe zu sparen. Die einst so schwärmerische Lila ist jetzt in eine sehr traurige Lage geraten, sie hat in Anklam nur einen einzigen Freund, einen "rechtschaffenen und gefühlvollen Mann", dem sie sich mitteilen und mit dem allein sie von ihrem "heiligen 2. Mai" und ihrer Seelenfreundin mit aller Wärme reden kann. Die anderen kennen den Begriff zärtlicher Freundschaft nicht, und ihr Mann kann sie trotz gleicher Denkungsart und Empfindung nicht verstehen. Der ist immer im Dienst und beim Exerzieren, so daß sie viel allein ist. Es fehlt ihr der Wald, wo sie schwärmen kann. Wie anders in Homburg, wo sie eine Gegend hatte, die sie "verstund". "Hier ist es öde und kalt, flache Gegend, kein Berg, kein Tal, kein Wald, kein Baum, unter dessen Schatten man seinen Kummer vergessen könnte." Herzlich bittet sie Psyche, über alle ihre Lieben, auch über die verehrte Herzogin, ihr recht oft Mitteilung zugehen zu lassen. "Wo sein die glücklichen Jahre", ruft sie aus, "wo unsere einzige Sorge war, das Vergnügen unserer Freundschaft recht zu genießen!" Dabei hat sie einen Wunsch, und das ist wohl der Hauptzweck des Briefes, Psyche möge an die Herzogin, die sich ihr immer gnädig bezeigt hat, und die ihr von allen den V. P. (Vénérables Princesses?) das mehrste Zutrauen eingeflößt hat, ein Schreiben überreichen, das "Danksagungen und Entschuldigungen wegen einer Gnadenbezeugung" betriift, welche die Herzogin ihrem Manne erwiesen hat. Wenn Lila dazu schreibt, daß sie wünscht, es sei nie geschehen, weil dieser der Fürstin sein Versprechen nicht halten könne, möchte ich vermuten, daß es sich um ein Darlehen handelt, wofür Stockhausen die Zinsen nicht aufbringen kann. In Weimar konnte man auf meine Anfrage nichts von einer finanziiellen Unterstützung durch die Herzogin feststellen, zumal dort Schatullrechnungen aus dieser Zeit fehlen. Lila fragt dann weiter nach den alten Freunden, vor allem Goethe und Merck sowie Frau Hesse, Psyches Schwester, erkundigt sich auch nach ihren Bekannten in Weimar, einem Fräulein von Wölwart, einer Hofdame der Herzogin, und einer alten Tante von Buttlar, die in erster Ehe einen Herrn von Stein-Callenfels geheiratet hatte. Man sieht hieraus, daß Lila in Weimar Bekannte hatte.

Dieser Brief wird ergänzt durch einen anderen undatierten aus demselben Jahre, ohne Überschrift, der aber bald nach dem vorigen vom 28. April als Fortsetzung geschrieben sein muß. Er ist als einziger adressiert an "Madame, Madame Herder, née Flachsland à Weimar". Bei dem besonderen Interesse, welches er für die trostlosen Verhältnisse Lilas bietet, wird er hier unter Ergänzung des von Morris ausgelassenen mittleren Teils vollständig wiedergegeben:
"Meine liebe beste Freundin, ich will nur etliche Worte beifügen um Ihnen zu bitten, der lieben Herzogin nichts von dem zu sagen, worum ich Ihnen in meinem letzten Brief gebeten habe. Sie hat einen Zug von Großmut gegen meinen Mann bewiesen, der ihm aus einer großen Verlegenheit hilft und mich ganz beschämt macht, und ob es mir zwar von meiner jetzigen Lage nichts lindert, so wünschte ich doch nicht, daß sie hiervon etwas wüßte.
(Der folgende Absatz fehlt bei Morris):
Liebe gute Seele, schreiben Sie mir doch, was Sie machen, denken Sie, daß so wert mir jederzeit Ihre Freundschaft und Ihre Briefe gwesen seien, so seine sie doch jetzt doppelt Labsal vor mich, da ich hier so entfernt von allem lebe, was mir sonst nicht nahe genug sein konnte. Schicken Sie mir doch Ihre Silhouetten nämlich Ihre und ihres lieben Herder, auch der Herzogin ihre, sprechen Sie mir von allem, was Ihnen lieb ist, ist ja meinem Herzen auch teuer.
Liebe liebe Psyche, wo sein die frohen Tage unserer ersten Jugend? Zuweilen wünschte ich recht herzlich Allem ein Ende damit alles, was gut ist und sich liebt wieder vereinigt werde, denn ohne dieses Glück kann ich mir keine Seligkeit denken. Leben Sie wohl lieben sie mich Beste: ich Bitte Ihnen ich bin es immer noch wert. Gotte segne Sie und die Ihnen angehören. Adieu.
"

Lila bittet in diesem Brief Psyche, der Herzogin nichts von der im vorhergehenden Schreiben ausgesprochenen Bitte wegen Unterstützung zu sagen, da diese bereits ihrem Mann aus einer großen Verlegenheit geholfen habe. Stets in Gedanken an ihre lieben Freunde, erneuert sie die Bitte um Silhouetten129) von ihr und Herder,, auch von der Herzogin. Am Schluß faßt sie noch einmal ihren ganzen Schmerz in verzweifelten Worten zusammen, die ihr so recht von Herzen kommen: "Liebe, liebe Psyche wo sein die frohen Tage unserer Jugend? Zuweilen wünsche ich recht herzlich Allem ein Ende, damit alles, was gut ist und sich liebt, wieder vereinigt werde." Sie möchte am liebsten sterben, aber ohne das glückliche Bewußtsein, mit ihren Freunden wieder zusammenzukommen, kann sie sich kein Elysium denken. Der einst so "elysischen" Zieglerin muß es damals schon recht schlecht gegangen sein.

Mit dem verzweifelten Brief vom 28. April 1781 schließt die erhaltene Korrespondenz zwischen Lila und Psyche. Später werden sich sich nicht mehr viel geschrieben haben. Zwischen ihnen stand die konkrete Wirklichkeit des Lebens, auch Lilas wechselreiches Schicksal, wie eine Wand aufgerichtet. Lila war eine unglückliche Frau geworden, der nur noch die schönen Erinnerungen an ihre Jugendzeit in Homburg und Darmstadt Freude machen konnten.

Im Jahre 1798 wurde Stockhausen als Kommendeur des Rgts. von Borcke nach Stettin versetzt. Der Aufenthalt dort mag für Frau von Stockhausen ein Lichtblick in ihrem von Sorgen bedrückten Leben gewesen sein, denn sie fand dort einen Kreis bedeutender und interessanter Menschen, der ihr zusagte und in dem sie aufleben konnte. Wir besitzen ein sehr interessantes Buch von Prof. O. Altenburg, Stettin, über die damals sehr angesehene Familie eines Großkaufmanns und Geh. Rats Tilebein in Stettin130) aus der Zeit, als Stockhausen dort beim Rgt. v. Borcke stand. Sophie Charlotte Tilebein, geb. Pepin, in erster Ehe verheiratet mit J. R. B u y r e t t e, 1771-1854, eine sehr bedeutende Frau, hatte damals auf ihrem Gut Züllichow einen großen Kreis geistvoller Menschen um sich versammelt, zu denen u. a. der Weimarer, auch als Dichter bekannte Reg. Rat v o n  G e r s t e n b e r g und der Balladendichter L ö w e gehörten. Beide hatten sich auch um die Witwe beworben. Goethes Schwiegertochter Ottilie, deren Kinder in ihrem Hause ein Heim hatten, wurde von der gütigen Frau unterstützt. In ihrem Salon, ebenso wie in dem Kreis um die im Stettiner Schloß lebende Prinzessin Elisabeth von Braunschweig, die geschiedene Frau Friedrich Wilhelms II., verkehrten auch die Stockhausens, alt und jung. Der junge Stockhausen hatte sich 1797 mit der Stettinerin Henriette Meyer verheiratet. Über die Tilebeins verdanke ich Herrn Prof. Altenburg einige Angaben. In ihren in französischer Sprache abgefaßten zahlreichen Briefen rühmt Frau Geheimrätin Tilebein öfter die Stockhausens, und zwar 1799; nähere Angaben über die Persönlichkeiten macht sie aber nicht. Nur am 11. April 1799 schreibt sie nach Altenburgs Mitteilungen: "Am Abend Thee bei der Normann (von); es waren da Mutter, Sohn und Tochter Stockhausen (von) und die Buggenhagen (von). Am Sonntagabend (nach demselben Brief) ist der Geheimrat Tilebein zusammen mit der Normann und der Stockhausen bei Prinzessin Elisabath von Braunschweig, im Schloß zu Stettin, am Mittwoch Abend sind dieselben Damen bei Tilebeins zum Tee."Ein anders Mal macht Frau Tilebein in einer Gesellschaft ein Spiel "mit der jungen Stockhausen (Tochter oder Schwiegertochter) und zwei adligen Herren", wieder ein anderes Mal "mit der Mutter Stockhausen". Gelegentlich spricht sie von "der guten Stockhausen", Gesellschaftlich standen sich also Tilebeins, Stockhausens und die Prinzessin Elisabeth 1799 ziemlich nahe, wie Altenburg in seiner Monographie "Elisabeth Prinzessin von Braunschweig, eine ungekrönte preußische Königin" (Verl. Léon Saumier, Stettin, 1924), S. 81 ausgeführt hat. Daß die Freundschaft mit Frau Tilebein auch die Versetzung nach Fraustadt, den Tod des Generalmajors und die Übersiedelung der Frau v. Stockhausen nach Berlin überdauert hat, beweist die Eintragung der Frau Tilebein in ihrem Tagebuch, das erst 1805 beginnt. Bei ihrem siebenwöchigen Aufenthalt in Berlin 1805 vermerkt sie am 7. April: "Die Generalin Stockhausen besucht". Es ist anzunehmen, daß auch Briefe hin- und hergegangen sind, es läßt sich aber nun nicht mehr nachweisen.

Der Aufenthalt in Stettin war nur kurz. Schon Anfang 1799 wurde Stockhausen nach Fraustadt in Niederschlesien versetzt und zum Generalmajor befördert. Damit begann für Lila wieder eine Zeit schwerer Sorgen. Ihre geliebte Tochter Caroline hatte sich sehr jung mit einem Major des Rgts. v. Schönfeld in Anklam verlobt, der aber schon im 1. Koalitionskrieg fiel. Von diesem Verlust konnte die Braut sich nicht erholen. Sie kränkelte und starb im Jahre 1802. Ihr folgte im Tode schon bald darauf, am 27. März 1804, der Generalmajor von Stockhausen131). So stand Frau von Stockhausen nun allein; kurze Zeit blieb sie noch in Fraustadt wohnen, siedelte dann aber nach Berlin (Kronenstraße 58) über. Ihre Verhältnisse hatten sich gegen früher noch verschlimmert. Eine Pension wird sie nicht gehabt haben, und der Sohn wird zur Unterstützung seiner Mutter nicht viel haben tun können, zumal die Erträge der Familiengüter sich von Jahr zu Jahr verminderten. Wie schlecht es ihr damals ging, sagt ein Brief der Prinzessin Wilhelm von Preußen vom 6. März 1806 an ihren Vater, den Landgrafen von Homburg, in dem sie sich ihrer Homburger Bekanntschaft132) erinnert:

"Eine meiner alten Bekanntschaften, die Stockhausen, ist in größtem Elend --- ich versichere Ihnen, ich kann manchmal am bloßen Gedanken daran nicht einschlafen. Morgen fange ich an, von neuem Französisch schreiben zu lernen (sie schreibt sonst mit Vorliebe deutsch), bei Dusaillant133), ihrem einzigen treuen Gefährten im Unglück; das ist ein Mann, den, wenn man von solchen Charakteren in Büchern liest, man sie für leere Erdichtungen zu halten gewohnt ist." Wer dieser Dusaillant war, habe ich leider nicht in Erfahrung bringen können. Ein Franzose dieses Namens, welcher der Zeit nach derselbe sein muß, wird bei Altenburg (a. a. O.) auch einmal in Stettin genannt, wo er in der Gesellschaft verkehrte.

Aus dem August desselben Jahres (1806) findet sich auch ein verzweifelter Brief der Stockhausen an die Prinzessin in deren Nachlaß in Darmstadt, der von weiterem Malheur in der Familie der "vom Unglück gezeichneten" (marquée par les malheurs) Frau spricht. Diesmal betrifft es zunächst den geliebten Sohn, der damals Hauptmann in Stettin war, um den sich die Mutter sorgt. Sie schreibt an die Prinzessin am 13. August 1806:

Madame,
Ne sachant point, si j'ose sans indiscretion me présenter chez Votre Altesse Royale, pour lui faire mes remerciments très humbles pour la faveur, qu`Elle a bien voulu me procuere, ...

A Berlin, de Voltre Altesse Royale très humble et
le 13. Aout 1806. très obéissante
rue de couronne 58. de Stockhausen née de Ziegler.

Frau von Stockhausen bittet in diesem Brief, der Prinzessin dafür danken zu dürfen, daß sie einen Besuch von ihr bei der Königin Luise, der Schwägerin und Base der Prinzessin, vermittelt hat, welche in herzlicher Teilnahme ihr zu helfen sich bereit erklärt hat. Sie wollte gern ihren Sohn aus Stettin vorteilhaft versetzt haben, da er dort überall an seinen Verlust erinnert wird. Sie selbst will sich zurückziehen und wünscht sich eine "proffesion villageoise", also auf dem Lande, um sich einen Beruf zu schaffen. Denn ihre Sorge um ihre Existenz sind ihr unerträglich. Um welche profession es sich hier handelt, ist nicht zu ersehen. Vielleicht wollte sie sich in Ruhe auf dem Lande eine Beschäftigung suchen. Sie könnte an eine Tätigkeit auf den Zyllnhardschen Besitzungen in der Pfalz und im Elsaß gedacht haben, wo sie später auch einmal gewesen sein muß. Das wäre vielleicht aus einem Brief ihrer Schwester Christiane aus dem Jahre 1812 zu schließen. Diese läßt den Großherzog von Hessen durch seine Frau Luise bitten, ihr Portofreiheit nach Frankreich für ihre Schwester, Frau von Stockhausen, zu gewähren, denn "les correspondences deviennent par l'établissement de ma soeur en France et dont il m'est si necessaire de recevoir souvent des nouvelles." Diese muß also doch in großer Not gewesen sein, wenn sie nicht einmal das Porto für ihre Korrespondenz aufbringen konnte, über deren Höhe sie auch in einem Briefe von 1781 klagt. Was aber hier établissement bedeutet, kann ich nicht sagen. Es kann heißen "Anstellung, Niederlassung", oder ein "Geschäft", aber auch "Versorgung", und zwar wird es in der höfischen und Diplomatensprache direkt für eine Versorgung durch Verheiratung gebraucht. Ob Lila vielleicht noch einmal an eine zweite Heirat gedacht haben mag, mit Bezug auf den Mann in Stettin, dem sie sich nach ihrem Brief allein vertrauen kann und der sie allein versteht? Das wird ohne weiteres schwer zu sagen sein.

Den Anlaß zu dem verzweifelten Schritt der Frau v. Stockhausen, als sie die Königin um eine Audienz bat, mag die starke Verschuldung der Familie gewesen sein. Vielleicht trugen auch alarmierende Nachrichten aus Stettin über ein etwas leichtsinniges Verhalten ihres Sohnes dazu bei, die Mutter zu ängstigen. Der Verlust, der ihm in Stettin immer wieder ins Gedächtnis gerufen wurde und um deswillen seine Mutter eine Versetzung von Stettin erbat, mag der erzwungene und ungünstige Verkauf des Gutes Sparrenfelde-Curow gewesen sein, auf dessen Einkünfte die Familie vielleicht große Hoffnungen gesetzt hatte.

Was die Familie von Stockhausen, den Vater wie den mitbelasteten Sohn, neben Krankheit und Familiensorgen am meisten niederdrückt haben muß, war die Verschuldung der ererbten Familiengüter, die schon mit Schulden übernommen werden mußten, mit den daraus fließenden Verbindlichkeiten.

Dazu kamen die persönlichen dienstlichen Ausgaben, worüber Herr von Stockhausen schon 1785 zur Begründung seiner Anleihe auf das Gut schreibt: "Durch verschiedene Zufälle in meinem Hauswesen und mehrere Kosten meines Avancements sehe ich mich in einer Lage, die es von der äußersten Notwendigkeit macht, ein Kapital von 2.000 Rth. auf meinen Anteil an denen Revenuen des von Hochfürstl. Durchl. relevierenden Familiengutes in Immenhausen zu erborgen." Also Gutsschulden, Avancementschulden und dazu noch Krankheit und andere Familiensorgen, die nicht ausgeblieben sein werden. Wir müssen dazu bedenken, daß in Deutschland die Folgen des Siebenjährigen Krieges noch nachwirkten, daß Revolutionskriege und die Napoleonische Okkupation zwischen 1805-1813 mit ihren drückenden Abgaben an die Gewaltherrschaft diese Güter oft bis zum vollständigen Ruin herunterbrachten.

Wie hoch die Güter belastet waren, konnte ich mit frdl. Unterstützung der Staatsarchive Marburg und Stettin näher feststellen, und ich möchte die Auskunft darüber auch zur Charakterisierung der damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland hier nicht zurückhalten, da es uns zeigt, daß die Klagen der Frau von Stockhausen nicht unbegründet waren.

Das hessische Familiengut I m m e n h a u s e n bei Kassel war 1772 als Lehnsgut von dem Landrat Karl Albrecht von Stockhausen in vollständig verwahrlosten Zustand übernommen worden und hatte zu seinem Aufbau große Aufwendungen verlangt. Der Vetter dieses Stockhausen, Johann Friedrich Gustav, der Mann Lilas, erhielt das verschuldete Gut nach dessen Tod 1793 als ein Danaergeschenk. Er hatte schon 1785 auf seinen Anteil der Einkünfte 2.000 Rth. von dem hessischen Kommerzien- und Fabriken-Kommissar Bohle aufnehmen müssen. Im Jahre 1799 streckte ihm und seinem Sohne die hessische Kriegskasse weitere 10.000 Rth. zur Abtragung der auf Immenhausen ruhenden Schulden vor; das dürfte für die damalige Zeit eine nicht unbeträchtliche Last für einen sicher nicht hoch besoldeten Offizier gewesen sein, und der Sohn war der mitleidende Teil. Trotzdem muß die Schuld teilweise getilgt worden sein, denn dieser nahm als Erbe seines 1804 verstorbenen Vaters 1806, damals Hauptmann im v. Borckeschen Regiment in Stettin, noch ein neues Kapiatl von 4.900 Rth. auf, die so daß damals 9.100 Rth. auf dem Lehngut standen.134) Dazu kam nun im Jahre 1799 durch Erbschaft ein zweites Gut, das wie so viele Erbschaften mehr Last als Lust mit sich brachte, S p a r r e n f e l d e - C u r o w bei Stettin.135) Dieses hatte die Schwester Stockhausens, die im Jahre 1799 kinderlos verstorbene C h a r l o t t e  A u g u s t e  P h i l i p p i n e, Gemahlin des Deputierten der pommerschen Landschaft und Erblandmundschenks P h i l i p p  O t t o  v o n  W u s s o w auf Curow 1785, von einem Herrn Rohr gekauft und lt. Testament vom 15. Januar 1797 ihrem Bruder als Universalerben vermacht, der es am 4. Februar 1799 nach ihrem Tode übernahm.136) Das Gut war nicht bar bezahlt und von vornherein mit vier Hypotheken belastet. Der König von Preußen hatte sich am 4. März mit der Allodisierung des Gutes einverstanden erklärt, wenn Stockhausen zur Ableistung des pommerschen Vasalleneides bereit sei, worauf am 31. März 1800 der Allodisierungsbrief ausgefolgt wurde. Jetzt war das Gut freies Eigentum der Stockhausen. Außerdem besaß Frau von Wussow noch mehrere gleichfalls hypothekarisch belastete Häuser in Stettin. Das eine davon in der Neuen Wallstraße ging am 9. Okt. 1797 durch Kauf in den Besitz des Leutnants von Stockhausen, damals im Rgt. Rüchel, über, der sich in diesem Jahre am 19. April mit H e n r i e t t e  C a r o l i n e  M a r i e  M e y e r aus Stettin verheiratet hatte. Das war wohl ihr Heiratsgut.137) Aus dem Vermögen seiner Frau wird er vermutlich damals die restlichen Schulden auf das Gut Immenhausen wie die Hypotheken auf Sparrenfelde bezahlt haben. Als einziger Erbe Stockhausens hatte der nunmehrige Hauptmann im Borckeschen Regiment von Stockhausen das Gut am 15. Juni 1805 für 44.000 Thl. an C a r l  E m a n u e l  N i e m a n n in Stettin verkauft, wozu durch Kabinettsordre vom 16. April 1806 der Konsens erteilt wurde. Der Kaufpreis, der später das Drei- bis Vierfache betrug, war sehr niedrig, und Stockhausen scheint durch seine Gläubiger zu einem Notverkauf gezwungen worden zu sein. Von dem Verkaufspreis wurden 15.000 Thl. als Hypothek eingetragen, und nach 1819 erhebt Stockhausen Anspruch auf eine Restsumme von 10.000 Rth. Er wird also mit diesem Geschäft bei den hohen Zinsleistungen keine Seide gesponnen haben. Seine nach dem Tode ihres Mannes vermutlich von ihm abhängig gewordene verarmte Mutter wird unter diesen gedrückten Verhältnissen schwer gelitten haben. So lassen sich die Klagen über ihr Unglück in ihren Briefen am natürlichsten erklären. Gerade das Jahr 1806 war vor anderen für Stettin wie für die Stettiner Familien durch die französische Okkupation ein besonders kritisches. In jene Zeit fällt der oben genannte Dankbrief Lilas vom 13. August 1806 an die Prinzessin Marianne, in dem sie für ihre Vermittlung bei der Königin Luise in ihrer Not dankt.

Über das Leben von Lilas Sohn F r i e d r i c h  L u d w i g sind wir sozusagen schon ab ovo gut unterrichtet. Wir hören von ihm in den Briefen seiner Mutter, schon ehe er auf der Welt war, von ihren Schmerzen bei seiner Geburt und von ihren Bemühungen, ihn etwas Tüchtiges lernen zu lassen; Daß seine Erziehung, an der wohl seine Mutter den Hauptanteil hatte, eine gute war, hat er durch sein Leben bewiesen. Wie sein Vater war auch er Soldat geworden.

Über seine militärische Tätigkeit erfahren wir das Nötige aus Priesdorff a. a. O. Schon im 12. Jahr war er als Fahnenjunker bei dem Regiment von C a n n e w u r f eingetreten und wurde drei Jahre später am 25. Juni 1790 Fähnrich im Regiment seines Vaters (v o n  S c h ö n f e l d) in Anklam. 1792 war er Sekonde-, 1797 Premierleutnant (damals Regiment v o n  R ü c h e l), kam 1803 als Stabskapitän zum Regiment v o n  B o r c k e nach Stettin, wo er bis 1807 stand.138) Während der Koalitionskriege hatte er mit dem Vater den Feldzug in der Champagne, die Einnahme von Frankfurt und Mainz mitgemacht und war während dieses Krieges Ordonnanzoffizier des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen. Bei der Erstürmung von Frankenthal hatte er sich so hervorgetan, daß ihm, den Siebzehnjährigen, gleichzeitig mit seinem Vater auf Antrag Rüchels vom 22. Januar 1794 der Orden P o u r  l e  m é r i t e verliehen wurde. Als Stabskapitän im B l ü c h e r schen Korps wurde er am 7. November 1806 mit Blücher bei Lübeck gefangen genommen und am 27. Februar 1807 zugleich mit Y o r c k und dem General v o n  O p p e n ausgewechselt. Da aber mittlerweile seine in Hessen liegenden Besitzungen in der westfälischen Zeit unter Jerome bei seinem Verbleiben im preußischen Heere von Napoleon mit Enteignung bedroht waren, nahm er, um diese Güter in Immenhausen und Wolfhagen zu retten, aus eigenem Antrieb als Major seinen Abschied aus dem Heer. Er war ihm aber vom König Friedrich Wilhelm III, nur unter der Bedingung bewilligt worden, daß er nicht in fremde Dienste trete und gegen Preußen kämpfe. Aus diesem Grunde mußte er auch den Antrag des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin, der auf der anderen Seite stand, ablehnen, die Führung seines Kontingents gegen 4000 Thl. Gehalt zu übernehmen. Er lag dann, wie aus Angaben seiner Mutter hervorgeht, auch von anderen Sorgen hart bedrückt, mehrere Jahre in Heidelberg schwer krank darnieder. Dort wurde am 5. Januar 1810 sein Sohn F r i e d r i c h  L u d w i g  A l b e r t Freiherr von Stockhausen geboren.

In den Freiheitskriegen stellte sich Stockhausen sofort wieder dem Heere zur Verfügung. Er wurde am 17. November 1813 als Major dem 10. Res. Inf. Rgt. zugeteilt und am 31. August 1814 in das Inf. Rgt. Nr. 22 eingestellt; im November wurde er Bataillonskommandeur. Seine glänzende Tapferkeit während dieses Feldzuges verdient hier einige besondere Bemerkungen, zumal er in den damaligen Kriegsberichten, welche sonst Einzeldarstellungen von Kriegsbegebenheiten nicht zu geben pflegen, mehrfach ausdrücklich genannt wird, was doch sonst wohl nur bei den führenden Persönlichkeiten zu geschehen pflegt.

Stockhausen stand damals im Ersten Ostpreußischen Inf. Rgt., das mit dem Korps des Generals von Yorck zur Schlesischen Armee gehörte, in der auch die Ostpreußische Brigade des Prinzen Wilhelm von Preußen, des Gemahls unserer Prinzessin Marianne, Lorbeeren erntete. Auch in diesem Feldzuge hat sich Stockhausen glänzend bewährt, und seiner schönsten Waffentat bei C h â t e a u - T h i e r r y wird mit hohen Ehren in allen Kriegsberiichten gedacht. Nach dem unglücklichen Gefechts Yorcks bei Montmirail am 11. Februar 1814 hatte er mit seinen zwei ostpreußischen Bataillonen "mit ebensoviel Umsicht wie Bravour" --- zwei Pferde waren ihm unter dem Leib erschossen worden --- den Rückzug Yorcks über die Marne gedeckt und damit den siegreichen Vormarsch der französischen Armee gehemmt, zugleich aber auch dem russischen Korps Sacken Rettung gebracht. Mit gleicher Tapferkeit kämpfte er in der siegreichen Schlacht bei L a o n (9. bis 10. März). Er hatte dort das Dorf A t h i s besetzt, dann in Brand gesteckt und sich in den äußeren Gehöften behauptet, während Prinz Wilhelm mit seiner Brigade in einem geradezu schulmäßgem Nachtangriff die Franzosen in der Nähe des Dorfes in die Flucht schlug. Von diesem Gefecht und dem heldenmütigen Verhalten Stockhausens hören wir in einem Brief der Prinzessin Wilhelm an ihren Bruder Louis vom 22. März: "Stockhausen hat sich auch dort und früher bei Château Thierry sehr ausgezeichnet, und nun hört das gerade seine alte Mutter nicht mehr, die ihn so liebte --- sie ist in Homburg (gerade um diese Zeit, am 22. Februar) gestorben." Das Interesse der Prinzessin an der Waffentat war ein doppeltes; es galt nicht nur der Tapferkeit ihres Mannes, sondern auch ihrer alten Homburger Freundin von Stockhausen, deren tapferer Sohn in dessen Brigade mit großer Auszeichnung mitgefochten hatte; deshalb war die Prinzessin auch so gut informiert. Am 1. Januar 1815 erhielt der Major von Stockhausen für sein heldenmütiges Verhalten das E i s e r n e  K r e u z  e r s t e r  K l a s s e. Yorck schätzte ihn, den man zu den ausgezeichnetsten Offizieren der Armee rechnete, wegen seiner heldenmütigen Tapferkeit, die sich mit ruhigster Besonnenheit einte, so hoch, daß er wiederholt von ihm sagte: "Dieses ist der Oberstleutnant von Stockhausen, ein Ehrenmann, vor welchem ich jedesmal den Hut zuerst ziehe, wenn ich ihm begegne." Briefe Yorcks an ihn hat Schwartz noch gesehen, sie sind aber später vernichtet worden.

Nach dem Frieden ist Stockhausen mit seiner ostpreußischen Truppe nach Königsberg marschiert. 1816 wurde er Kommandeur des 11. Linien-Regiments in Breslau, 1817 Oberstleutnant und 1824 Oberst. Aus jener Zeit haben wir über ihn ein glänzendes Zeugnis des Generals von Ziethen: "Redlichkeit, Tätigkeit und Fleiß sind ihm eigen, derselbe führt sein Regiment mit Anstand und Würde, wirkt ebenso auf jüngere Offiziere und ist zu hohen Posten zu empfehlen." Solche Empfehlung mag mit anderen den König bewogen haben, ihn am 27. Oktober 1823 zum Gouverneur seines Sohnes, des Prinzen Albrecht, und vier Jahre später zu dessen Militärgouverneur zu ernennen, was er bis zu des Prinzen Volljährigkeit blieb, um dann am 7. August 1830 unter Ernennung zum Generalmajor Hofmarschall des Prinzen zu werden. 1840 erhielt er den Charakter als Generalleutnant und starb am 4. Juli 1843 zu Neudeck bei Glatz, wo er auf dem Franziskaner-Friedhof seine Ruhe gefunden hat.139)

Es gibt eine ausgezeichnete mit großer Begeisterung und Wärme geschriebene Biographie dieses hervorragenden Soldaten und beliebten Menschen von einem alten anhänglichen Regimentskameraden vom XI. Regt., dem späteren General W. von Rahden (Wanderungen eines alten Soldaten 1846 bis 1859, Berlin), die den militärischen und menschlichen Tugenden des Generals vollauf gerecht wird und die ich mir schon Lilas wegen nicht versagen kann, hier wiederzugeben. Sie ergänzt manches früher Gesagte:

"Es ist nun meine Absicht, in scharfen und aufrichtigen Factas zu beweisen, daß Joh. Carl Friedrich Ludwig Frh. von Stockhausen auch ein edler Deutscher und hochherziger Preuße, einer der ausgezeichnetsten Soldaten des Heeres und der treueste Diener seines Königs gewesen ist.

Unser v. Stockhausen wurde den 19. April 1775 in Homburg v. d. H. geboren; seine Wiege stand also an dem Orte (vermutlich im Schloß selbst), wo ein berühmter fürstlicher Heldenstamm seit Jahrhunderten grünte und blühte, denn es ist geschichtlich, daß aus der Homburger Fürstenfamilie seit Jahrhunderten edle Heldenmänner entsprossen sind. Von Stockhausens Vater war der 1804 zu Fraustadt in Niederschlesien verstorbene Kgl. preußische General, seine Mutter die Freiin Louise von Ziegler. Mit elf Jahren war er 1786 beim Rgt. von Cannewurf in Anclam eingetreten. Er zog hinaus gegen Revolution und Ungesetzlichkeit, und schon im Jahre 1792 erhielt er, 17 Jahre alt, bei der Erstürmung von Frankenthal mit seinem Vater, hoher Stabsofficier in demselben Regiment, zu gleicher Zeit den Orden pour le mérite --- den schönen Orden pour le mérite! In der Belagerung von Mainz, an dem Schlachttage bei Valmy und auf dem unglücklichen Rückzuge aus der Champagne zeichnete sich unser v. Stockhausen ruhmvoll aus, und beim Sturm und der Einnahme von Frankfurt focht derselbe an der Seite des heldenmüthigen Prinzen Louis Ferdinand als Ordonnanzoffizier. 1806 kämpfte er abermals ritterlich bis zum letzten Mann, denn er wurde erst bei Lübeck mit Blücher gefangen genommen, aber im nächsten Jahre 1807 schon mit York und Oppen ausgewechselt.

Während des Vaterlandes tiefster Erniedrigung --- die bitterste für ein preußisches und deutsches Herz --- mußte er seinen Abschied fordern, weil die ihm und seiner Familie in Hessen zugehörigen Besitzungen vom Westfalenkönig Jerome eingezogen werden sollten. Friedrich Wilhelm III. erteilte ihm denselben als Major und auf seinem eigenen Wunsch und mit der Bedingung, "daß er nie in französische Dienste gehen dürfe". Nun lebte er sechs Jahre in größter Dürftigkeit; durch und durch Preuße hatte er Jeromes glänzende Anerbietungen abgeschlagen, und als der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin Stockhausen als General die Führung seines Contingentes mit 4000 Thaler Gehalt übertragen wollte, lehnte er unbedenklich ab, weil er dann gezwungen werden konnte, gegen Preußen zu dienen.  Die Wunden in tiefster Seele, im Jammer um das Vaterland und tödlich erkrankt, hatte er sich nach Heidelberg zurückgezogen, eilte aber kaum genesen 1813 wieder zu den Fahnen. Zuerst in einem schlesischen Regiment in Erfurt, wurde er Commandeur des ersten ostpreußischen Füs. Bataillons.

Bei Château-Thierry deckte er am 11. Februar 1814 mit zwei Bataillonen den Rückzug über die Marne und rettete das Yorksche und Sackensche Corps vom Untergang durch seine heldenmütige Verteidigung der Schiffsbrücke. Zwei Pferde wurden ihm unter dem Leibe erschossen, elf Kugeln durchlöcherten seinen Mantel, ihn selbst traf nur ein Streifschuß. Ebensotapfer kämpfte er bei Laon und Paris, das Eiserne Kreuz I.und II. Klasse und hohe russische Orden waren sein Lohn, dazu das höchste Soldatenlob Yorcks.

Hier noch ein kurzes Urtheil über von Stockhausen als Militär. Er war praktisch und tüchtig in jeder Lage des Lebens, seine Instruktionen waren kurz und lehrreich, seine Dispositionen bestimmt und sicher, in der Ausführung war er ruhig, aber präzis wie der Gedanke. Dabei kam ihm sein klarer, blitzesschneller militärischer Überblick, seine Entschlossenheit als Grundzug seines Charakters und der unbeugsame Sinn, welchen Erfahrung gestählt hatte, gar trefflich zu statten. Er war zum Feldherrn geboren, schade also, sage ich, daß Zeit und Verhältnisse ihn nicht an die Spitze der Armeen geführt haben und er nicht wie Keith und Schwerin gefallen ist."

Und an einer anderen Stelle heißt es nach seinem Abgang: "Unser trefflicher Oberst von Stockhausen, schon seit 1823 nach Berlin berufen, war noch immer bei uns im liebevollsten Andenken. Als derselbe uns entrissen wurde, begleitete ihn das ganze Regiment, Offiziere und Soldaten, beinahe zweitausend an der Zahl, weit über die Stadt hinaus ins freie Feld, und jeder einzelne trauerte und klagte unter dem wolkenbedeckten Himmel über diesen herben Verlust; denn solche einstimmige Liebe und Verehrung der Untergebenen zu ihrem Vorgesetzten hatte sich gewiß so noch nie ausgesprochen. Und so lange nur noch ein Mann von jenen Zweitausend athmet, so lange lebt v. Stockhausens Andenken; sein Ruhm wird zur Tradition bei unseren jüngeren Brüdern werden, und niemals wollen wir es vergessen, daß unser v. Stockhausen ein braver, rechtschaffener und seltener Mann war."

Verheiratet war Stockhausen mit H e n r i e t t e  C a r o l i n e  M a r i e  M e y e r, mit welcher er einen Sohn F r i e d r i c h  L u d w i g  A l b e r t (geb. 1810) hatte. Dieser Enkel der Lila, Herr auf Immenhausen, dann Wolfhagen, wurde, wie der Vater, Kammerherr und Hofmarschall des Prinzen A l b r e c h t  v o n  P r e u ß e n und starb 1855. Er soll wegen Mißhandlung seines Dieners nach Sachsen geflohen sein, wo er sich die schöne Villa Stockhausen bei Loschwitz an der Elbe, unweit Dresden baute. Dieses Palais stand nahe dem Albrechtsschloß und war wie dieses von Landbaumeister L o h s e im gleichen Stil erbaut; der Garten stammte von Gartendirektor N e i d e. Stockhausen war verheiratet mit Ernestine Caroline T r e u s c h - v o n  B u t t l a r aus dem Hause Markershausen, Hofdame der Kurfürstin Auguste in Kassel, die in Dresden 1889 gestorben ist. Er hatte drei Kinder: eine Tochter K o n s t a n t i n e  A l e x a n d r a  F l o r e n t i n e und zwei Söhne, von denen einer, A l b r e c h t, 1870 bei Vionville fiel, während der ältere, H e i n r i c h  A d.  E d m.  E r n s t (1846-96), Leutnant im sächsischen Gardereiterregiment war. Mit diesem unverheiratet gebliebenen Urenkel der Louise von Ziegler ist die Familie gänzlich ausgestorben und wurde von der Familie T r e u s c h - B u t t l a r  v o n  B r a n d e n f e l s im Jahre 1906 beerbt.

Bei dieser Erbauseinandersetzung wurde die Stockhausensche Villa im Jahre 1891 an den Fabrikanten N a u m a n n, dann an den Fabrikbesitzer L i n g n e r in Dresden verkauft und ist als Schenkung des letzteren als Lingner-Schloß in den Besitz der Stadt Dresden übergegangen und seit 1930 öffentlich zugänglich140). Welchen Verlust diese Erbteilung für die Literatur bedeutete, habe ich schon oben gesagt, da der schriftliche Nachlaß der Stockhausenschen Familie bei dieser Gelegenheit unverständlicherweise verbrannt wurde. Dabei ist auch die Korrespondenz von Goethes Lila vernichtet worden und damit, wie so oft noch in unserer Zeit, durch Unverstand manches Wertvolle verloren gegangen, was aus der Vergangenheit gerettet war. Auch die einst im Schloß befindlichen Bilder der Familie, welche noch Schwartz gekannt hat, sind nicht mehr aufzufinden.

Auf Grund dieser ausführlichen Quellen habe ich es mir nicht versagen können, auf das Leben dieses verdienten und tapferen Soldaten, des Sohnes unserer Lila, etwas näher einzugehen. Nicht nur als ein rühmliches Beispiel altpreußischer militärischer Tüchtigkeit aus einer Zeit, in welcher der Ruhm des friderizianischen Heeres schon stark ins Wanken geraten war, sondern weil ich in den gepriesenen Charaktereigenschaften des Sohnes auch ein Erbteil ihrer Mutter sehe, die in ihrer Jugend zwar in hohen Regionen schwärmte, aber später von den schweren Schicksalsschlägen des Lebens zu einer anders geformten charaktervollen und ernsten Frau geworden war.

Die militärischen Eigenschaften waren wohl Erbteil der Stockhausenschen Familie. Wenn wir aber hierzu, woran schon Rahde erinnert, erwägen dürfen, daß Stockhausen im Homburger Schloß geboren war, wo seine Mutter viele Jahre den Geist eines kerndeutschen edlen Fürsten, seines Paten, des Landgrafen Friedrich Ludwig, eingesogen und im Dienste einer klugen und feingebildeten Frau eine ernstere Auffassung des Lebens erfahren hatte, so darf auch das Haus Homburg seinen Anteil an den Erfolgen des hervorragenden Sohnes beanspruchen. Es war althomburger Geist, der ihn beseelte wie die sechs Heldensöhne desselben Landgrafen, welche in denselben Kriegen und mit derselben Bravour wie dieser für ihr Vaterland kämpften und bluteten. Deshalb darf auch in Homburg dieses jungen Stockhausen in Ehren gedacht werden.

Im Jahre 1814 muß Frau Louise von Stockhausen in Homburg gewesen sein. Ob sie ihre drückenden Vermögensverhältnisse gezwungen haben, in der Nähe ihrer Schwester für längere Zeit Unterkunft zu suchen, wozu sie der Landgraf ja auch seinerzeit eingeladen hatte, oder ob sie nur auf Besuch in Homburg war und hier plötzlich starb, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist sie hier nach dem Kirchenbuch am 25. Februar 1814, noch während des Krieges, im Alter von 66 Jahren gestorben. Der Eintrag im Kirchenbuch lautet:

Freifrau Louise, des Königl. Preußischen Herrn Generalmajors Freiherrn Gustav von Stockhausen Frau Gemahlin, starb allhier achtzehnhundertvierzehn, den fünfundzwanzigsten Februar abends 8 Uhr und wurde am 28 ej. des Morgens stille beerdigt; war eine geb. Freiin aus . . .  . und angeblich 64-65 Jahre.
    Oberpfarrer Friedrich       
Peter Jacob Gallet } Totengräber                         
Friedrich Becker  

Es ist auffallend, daß das Alter nicht genau angegeben ist. Da sie, wie wir jetzt wissen, 1747 geboren ist, war sie 661/2 Jahre alt geworden. Es war ein merkwürdiger Zufall, daß die unglückliche Frau der Tod da ereilte, wo sie die schönste Zeit ihres Lebens verbracht hatte. Vielleicht hatte sie eine unbestimmte Sehnsucht nach dem Ort getrieben, der einmal ihre Heimat war, und "es muß für sie", sagt Tornius, "ein tröstliches Gefühl gewesen sein, an der Stätte so vieler Jugendfreuden in dankbaren Gedenken an manches zarte empfindsame Erlebnis ihre Rechnung mit dem Leben abzuschließen." C h r i s t i a n e  v o n  Z i e g l e r starb unvermählt in Homburg am 2. August 1821, sechs Wochen vor dem Tode ihrer Landgräfin. Sie hatte als Nachfolger ihrer Schwester ihrer Landgräfin 47 Jahre lang in Treuen bis zum Tode gedient.141)

Beide Schwestern ruhen auf dem lutherischen Friedhof in Homburg. Wie ich aber schon in meiner Goethearbeit schreiben mußte, sind ihre Grabsteine vor 100 Jahren bei einer Veränderung des Kirchhofs in wenig pietätvoller Weise abgebrochen worden. Selbst der Platz ist in den Kirchenakten nicht mehr nachzuweisen, da diese wie die Lagepläne ebenfalls verschwunden sind. Die damals eingeebneten Gräber befanden sich nahe dem mitabgebrochenen alten Totenhaus von 1742, dicht an der Dornholzhäuser Chaussee und liegen jetzt vermutlich unter dem Pflaster. Mittlerweile habe ich aber in der Chronik des gewissenhaften J. G. Hamel doch noch eine Notiz über die beiden Gräber gefunden. Demnach hatte dasjenige der Louise v. Stockhausen die Inschrift: "Hier ruht seit 22. Februar 1814 Louise von Stockhausen geborene Ziegler, alt 66 Jahr. Gesegnet unvergeßlich bleibe das Andenken dieser reinen frommen Seele allen, die sie zu würdigen wissen." Dasjenige der Schwester: "Hier ruht seit dem 2. August 1821 die Asche der unvergeßlichen Christiane Ernestine Sophie von Ziegler, alt 72 Jahr." Als Denkmal dienten nach Hamel zwei nebeneinanderstehende einfache Urnen mit oben umlaufenden Kranz von 12 Sternen. Eine ähnliche größere Urne mit rückseitiger poetischer Inschrift aus derselben Zeit142) und demselben Gesellschaftskreis existiert nun heute noch am Eingang des Friedhofes, welche uns genau die Form der Zieglerischen angeben dürfte. Nach einer alten Skizze muß sie früher vor dem Totenhaus gestanden haben und später verschoben worden sein. Ich glaube nun aber, daß die beiden gleichen Urnen der Schwestern Ziegler doch noch existieren, und zwar stehen sie auf den Torpfosten des lutherischen Friedhofsportals mit moderner Inschrift, wohin eine pietätvolle Seele sie vermutlich nach dem Abbruch gerettet hat. Die alte Schrift scheint darauf abgearbeitet zu sein, sie ist jetzt durch einen Bibelspruch ersetzt: "Es wird gesäet verweslich", und: "Es wird auferstehen unverweslich".

Lila war keine von jenen weiblichen Gestalten, welche auf das Schaffen Goethes einen nennenswerten und dauernden Einfluß gewinnen konnten, wie Friederike, Charlotte und Lili, mit der sie oft verwechselt wird, oder Charlotte von Stein. Aber das schöne, liebenswürdige und empfindsame Hoffräulein, im Kreise der Empfindsamen eine der Ersten, hat doch den jugendlichen Dichter, der in Darmstadt so gern mit ihr geschwärmt hat, begeistert und ihm ein schönes Gedicht entlocken können. Und als Goethe nach seinem Roman mit Lotte niedergeschlagen aus Wetzlar zurückkehrte, war sie es, die ihn mit ihrer Freundin Urania in Homburg, wo er sie hatte kennengelernt, "das Leben wieder hat liebgewinnen lassen, da das Erscheinen solch eines Elenden so trefflichen Geschöpfen Freude machen kann!" Das war der zweite Besuch des Dichters am Homburger Hofe. An eine Verbindung mit ihr, wie ihre Freunde hofften, hat aber Goethe nie gedacht. Der Verkehr mit ihr blieb ihm wie mit so vielen eine liebe Erinnerung. Seine Schwärmerei hatte sich schnell wieder in Poesie aufgelöst, und manche Gestalten seiner Werke spiegeln Züge der gefühlvollen Freundin wieder. So ist ihr Andenken im Liede festgehalten, und deshalb muß auch Lila, die elysische Zieglerin, inmitten der "Gemeinschaft der Heiligen" alle Zeit mit Goethe genannt werden. Sie braucht deshalb nicht zu bitten wie Euphrosyne in den Versen, welche Goethe der jugendlichen früh verstorbenen Schauspielerin Christiane N e u m a n n widmet:

                  Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehen!
Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod.
Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias
Reiche massenweis' Schatten von Namen getrennt;
Wen der Dichter aber gerühmet, der wandelt, gestaltet,
Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.
Freudig tret' ich einher, von deinem Liede verkündet.
 

Heute ist der Platz, an dem ihr müder Leib ruht, unbekannt; kein Kreuz oder Stein schmückt auf dem Homburger Friedhof das Grab dieses empfindsamen Herzens, über das jetzt der gefühllose Verkehr erbarmungslos hinwegbraust. Da, wo sie einst, geehrt von ihrer Herrschaft, gewirkt hat, ist ihr Name vergessen. Des Dichters Lied allein hat ihn aufbewahrt.

O s s a  t a c e n t,  m a r m o r q u e  t a c e t,  s e d  f a m a  l o q u e t u r !

[66] Die Briefe der Landgräfin aus den neunziger Jahren an ihre Familienmitglieder, vor allem die Prinzen Louis und Fritz, enthalten mit ihren ausführlichen Berichten über die Vorgänge in der Nachbarschaft so viel Material über die Revolutionskriege in unserer Gegend, daß kein Forscher, der sich mit dieser Epoche beschäftigt, daran vorbeigehen kann. Vgl. hierzu W. K i r c h n e r: Jourdans Zug durch Homburg v. d. H. 1796 nach einem Bericht von Hölderlins Freund Sinclair in Mitt. des Vereins f. Gesch. u. Altertumskde., Heft XIX, 1936, S. 81 und Johanna J a c o b i: Die Schlacht bei Höchst im Jahre 1795 vom Weißen Turm aus beobachtet, 2 Briefe der Landgräfin Caroline an ihren Sohn Friedrich Joseph im "Weißen Turm" Nr. 7, 1938.
[78a] Das Bild befindet sich jetzt, nach dem Tode des Fräuleins von Buttlar, im Besitz der Erben in Thüringen.
[79] Über Fr. A. T i s c h b e i n vergl. K. L u t h m e r, Die hessische Malerfamilie Tischbein. Kassel. 1934. (Abs. c. Zweite Malergeneration Nr. 19 S. 9). Ein anderer als Nr. X S. 31 kommt hier unter den 37 Familienmitgliedern kaum in Frage. Er war 1750 geboren zu Maastricht, Schüler seines Vaters Joh. Valentin und Joh. Heinrich des Älteren in Kassel, wo er als Dekorateur und Porträtist tätig war. Seit 28.6.1770 Pensionär des Fürsten v o n  W a l d e c k, 1771-72, "Dessinateur" in Kassel. ... Das Bild der Ziegler muß vor ihrer Verheiratung (1774) gemalt sein. Von Tischbeins Bildern wäre hier Nr. 175 "Herr von S t o c k h a u s e n als Meister vom Stuhl", der Vater unseres Stockhausen, der Freimaurer der Altenburger Loge war, zu nennen, das in der Loge von Kassel hing und jetzt unauffindbar ist, und das Bild der Frau v o n  B u t t l a r Nr. 181, einer Verwandten der Stockhausen. Nach Briefnotizen muß Tischbein später auch für Homburg gemalt haben. ...
[92] Diese Redensart am Schlusse der damaligen deutschen Briefe mit "Gefasel, Geschmiere" entspricht dem in den französischen selten fehlenden: "Excusez mon griffonnage".
[110] Er wird wohl, wie alle Stockhausen, den Rufnamen "Hans" gehabt haben. Der Vater war zweimal vermählt, zuerst mit Mariana Elisabeth v o n  R e i t z e n s t e i n, (1710-46), dann mit Anna Sophie v o n  S c h w e i n i c h e n. Unser Stockhausen stammt also aus der ersten Ehe. Vermutlich war er auf dem Gut der Großmutter geboren. Das Winziger Kirchenbuch schreibt merkwürdigerweise "Marjana von Reichenstein". Die Stockhausen gehörten mit den Verwandten Buttlar zu den angesehensten Familien der althessischen Ritterschaft (Vehse a. a. O. S. 16). Ihr Wappen war ein rechts schrägliegender oben abgeschnittener Baumstamm mit drei Wurzeln (Stock) und rechts zwei, links einem herzförmigen (Linden?)blatt.
[111] Nach den Familienpapieren hatte Stockhausen (Schwartz a. a. O. S. 176) zwei Geschwister: einen Bruder Karl Sigismund, geb. 1739, der Leutnant im Regiment von Bewern war und in der Oder ertrank, und eine Schwester Charlotte Auguste Philippine, die mit dem Erblandmundschenk von Wussow in Pommern vermählt war und am 12. Januar 1799 ohne Nachkommen starb.
[112] Über ein W e r b e b ü r o in Homburg fehlen die Akten; es ist auch nicht bekannt, in welchem Gasthaus die Werbung stattfand. Im "Goldenen Engel", wo auch Stockhausen gewohnt haben könnte? Friedrich der Große hatte durch einen Erlaß an sämtliche auswärtige Potentaten hohe und niedere Beamte zu seiner Unterstützung aufgerufen. Auch Österreich und Holland haben damals viele Soldaten angeworben. Ein Hauptwerbebüro war auch in Frankfurt, dessen Bürger aber nicht angeworben werden durften, an dessen Spitze ein hoher Offizier stand. Die Offiziere wechselte der König oft, um vielen Gelegenheit zu Nebeneinnahmen zu geben, besonders wenn sie stark verschuldet waren. Vielleicht war dies auch bei Stockhausen seiner stark verschuldeten Güter wegen der Fall? Nach der Rangliste muß er von 1771-75 auf Werbung gewesen sein. Für Homburg ist er nur für 1773/75 beglaubigt. Für die Werbeorte brachte das Geschäft manchen Vorteil durch den Verkehr in den Gasthäusern, Beschaffung der Monturen u. a. m., wenn auch durch gewaltsame Werbung mancher jüngere Mann ins Unglück geriet. In Homburg habe ich auch später aus dem Jahre 1792 einen Premierleutnant v o n  T r a n o w feststellen können, der später durch einen v o n  H a u g w i t z abgelöst wurde; beide verkehrten wie Stockhausen bei Hofe; daher sind ihre Namen bekannt.
[113] Die "Proklamation" d. i. die öffentliche Bekanntmachung des Ehevorhabens erfolgte bis in unsere Zeit an 3 Sonntagen vor der Trauung in der Kirche beim Gottesdienst ("von der Kanzel werfen"). Wer Einspruch erheben wollte, hatte sein Taschentuch aus einer der Altarlogen (den "Stübchen") in den Altarraum zu werfen.
[114] Die verschiedenen Regimentsnamen beziehen sich alle auf dasselbe Regiment Nr. 30, das, wie damals üblich, jedesmal nach dem wechselnden Regimentschef benannt wurde.
[115] Ad. Bach, Goethes Rheinreise mit Lavater und Basedow im Sommer 1774. Zürich, 1923; darin das Gästebuch des Badehauses S. 96; Fr. Otto, Goethe in Nassau. Nass. Ann. XXVII, 1895, S. 53 ff., Ems S. 60; A. S p i e s s, Zu Goethes Aufenthalt in Ems, Sommer 1774. Nass. Ann. XII, 1873, S. 286. Das zweite Badehaus war das Fürstl. Hessen-Darmstädter, dessen Fremdenliste nicht erhalten ist.
[116] Der Maler S c h m o l l e r hat während der Rheinreise das Bild Goethes gemalt, das als eines der besten gilt. (H. W a h l, Goethe und seine Welt, 1938, S. 247 u. 249.) In dem verdienstvollen Buch sind auch die Bilder der übrigen hier genannten Personen aus dem Goethekreis abgebildet. Es sollte einmal in einer neuen Auflage durch die Homburger Bilder ergänzt werden.
[117] Die von der Stockhausen hier genannten und charakterisierten Personen finden sich mit Ausnahme der Adlerflycht (wohl aus Frankfurt) alle im Gästebuch des Badehauses: die Gräfin O s t e i n (Ludovica Charlotte) "eine Dame von sehr natürlich ungeniertem Wesen, richtig determiniert in ihren Urteilen", ist die Schwägerin des Freiherrn von D a l b e r g und die Repräsentantin des Kurfürstlichen Hofes in Mainz (vgl. auch Jacobi, "Weißer Turm" Nr. 14, 1938: Antrittsbesuch des Landgrafen Friedrich Ludwig beim Kurfürsten von Mainz am 25. Mai 1769); Freiin von G r e i f e n k l a u war ihre Gesellschafterin; Graf  B a t h y a n i, ihr liebenswürdiger Tischnachbar, ein österreichisch-ungarischer Diplomat aus Wien oder Preßburg; mit ihm ein Herr von D e r e n t h a l aus Ungarn; Frau von W e y r a c h stammte aus Frankfurt. Gleichzeitig wohnten in demselben Hause: Frau v o n  S t e i n, die Gattin des Ministers aus Nassau, der damals sehr berühmte Möbeltischler R ö n t g e n aus Neuwied, der auch für Homburg gearbeitet zu haben scheint, der bekannte Maler Z i c k aus Koblenz und ein Fräulein v o n  G e u s a u. Sie könnte die einmal für Homburg bestimmte Hofdame gewesen sein. Es war dort also eine recht illustre Gesellschaft zusammen. Weitere Gäste aus der vornehmen Gesellschaft bei Otto a. a. O.
[118] W.  R ü d i g e r, Joh. Ph. K ä m p f, seine Söhne Johann und Ludwig Wilhelm, sein Enkel Jakob Wilhelm. Nass. Ann. 41, 1911/12, S. 84 ff., auch Fr. Otto a. a. O.
[119] vgl. Anm. 92
[120] Ein solcher damals üblicher "Gebärstuhl", den auch Lila benutzt haben wird, findet sich noch heute im Homburger Schloß.
[121] Ihre Paten waren: Gräfin Hohenlohe, Oberstallmeister von Schaumburg, Frl. von Selke, Frl. von Rappen und eine Tante Frl. von Ziegler (Kirchenbuch).
[122] Über die Revolutionskriege s. oben Anm. 66.
[123] Die Brüder M o s e r gehörten auch nach Homburg. Der Vater Joh. Jakob (geb. 1701 in Stuttgart) war seit 1747 in Homburg, vorher Geh. Rat, Professor und Universitätsdirektor in Frankfurt a. d. O. ...
[124] Über die G e r o c k s s. Witkowski a. a. O.
[125] Vgl. das ungünstige Urteil über die Darmstädter Gesellschaft bei der Teissier oben S. 127
[126] Graf Goertz war Prinzenerzieher in Weimar, später Oberhofmeister bei der jungen Herzogin, zuletzt preußischer Gesandter in Petersburg. Er war das Vorbild zu Antonio in Goethes "Tasso" (Bielschowsky I. S. 520).
[127] Die B u t t l a r waren mit den Stockhausen verwandt und ihre nächsten Erben.
[128] Über die Verbindlichkeiten siehe oben S. 192.
[129] Silhouetten siehe Anmerkung 87.
[130] O. Altenburg: Die Tilebeins und ihr Kreis. Stettin 1937.
[131] Das Kirchenbuch von F r a u s t a d t war nicht zu ermitteln. Ersteres war nach Auskunft des Geistlichen während der Polenunruhen nach Breslau geschickt worden und nicht mehr zurückgekommen.
[132] Daß die Prinzessin auch später noch Beziehungen zur Familie von Stockhausen unterhalten hat, geht auch daraus hervor, daß der junge v. Stockhausen ihr 1823 aus Breslau mitteilt, daß er Militärgouverneur des Prinzen Albrecht geworden sein, und 1830, daß er als Generalmajor den Abschied erhalten habe. 1821 hatter er ihr von seiner Tante (Christiane) mitgeteilt, daß sie schwer erkrankt sei. Sie starb kurz darauf.
[133] Daß Frau von Stockhausen öfter bei der Prinzessin in der Familie verkehrt hat, geht aus deren Brief an ihren Vater hervor (Marianne war krank gewesen): "Das Schlafen geht recht gut, seitdem ich gar keinen Thee mehr trinke, sondern lauter Wasser und Milch leppere (!). Doch machte Frau Stockhausen gestern remaque, ich tränke gerade so wie sie (der Landgraf), weil auch die untere Tasse mit bedacht wird."
[134] Nach Aufhebung des Lehnsverbandes gingen die Immenhäuser Güter 1831 in den Besitz des Stockhausenschen Erbleihbeständers, des Untergerichtsanwalts Hartmann Otto zu Grebenstein, über. Der jetzige Besitzer heißt Karl Rüdiger, das Rittergut scheint jetzt den Namen "Mühlenhof" zu haben.
[135] Nach B e r g h a u s, Landbuch von Pommern und Rügen, und Mitteilung von Dr. Just kommt ein ritterliches Geschlecht v o n  S p a r r e n v e l d e schon im 13. Jahrhundert vor. Im 14. Jahrhundert gehörte das Gut der Familie v o n  W u s s o w, im 16. den den Gebr. von Ramin. Im 18. Jahrhundert brachte es der Generalleutnant Generalfeldmarschall v o n  B o r c k (wohl der frühere Chef des Rgt. Nr. 30?) mit dem Lehen an sich, tauschte es dann 1725 mit Landrat Jürgen v o n  R a m i n, der 1729 und 1743 damit belehnt wurde. Dieser verkaufte es 1746 an Hauptmann v o n  P l ö t z; über ihn kommt es an K. Bugoslaw v o n  R a m i n, der es 1780 für 12.000 Rth. an Hauptmann O. Fr. Chr. v o n  R o h r verkauft, und dieser verkauft es 1785 erblich für 10.500 Rth. an Frau v o n  W u s s o w geb. von Stockhausen, die es 1799 ihrem Bruder vermacht. Nach seinem Tode 1804 erbt es der Sohn; seit 1781 ist es freies Allod. 18828 steht der Rittegutsbesitzer H. S c h ü t t e in der Matrikel, von ihm kommt es an seinen Schwiegersohn N i e m a n n. Dieser verkauft es 1847 für 105.000 Thl. an G. Joach. Fr. B o l d t, dieser 10 Jahre später, 1857, für 138.000 Thl. an den Gutsbesitzer B a l t h a s a r aus Gr. Miltzow im Grimmenschen Kreise, und dieser 1862 für 153.000 Thl. an den Besitzer M ü l l e r, der es bis 1870 an seinen Bruder verpachtet. Jetziger Pächter, dem ich diese Angaben verdanke, Dr. ing. Just. Habent sua fata praedia!
[136] Vgl. Anm. 111.
[137] Lt. Kodizill zum Testament vom 21. Nov. 1798 waren Frau v. Stockhausen geb. Meyer eine goldene Uhr vermacht und ein blauer Diamantring, der aber erst nach dem Tod des Herrn von Wussow an sie fallen sollte.
[138] Über die verschiedenen Regimentsnamen siehe S. 175.
[139] Das Grab war dort nicht aufzufinden, das Kirchenbuch ist in den Polenunruhen verschwunden.
[140] Abbildungen des Schlosses in Velhagen u. Klasings Monatsheften, August 1937, Seite 558-61.
[141] Das "Homburger Amtsblatt" vom August 1821 verzeichnet unter den hier anwesenden Fremden im "Hessischen Hof" den Oberstleutnant v o n  S t o c k h a u s e n, der dem Datum nach damals die Familie bei ihrer Beerdigung vertreten haben wird.
[142] Auf der Rückseite konnte ich folgende verwitterte nicht ganz verständliche Inschrift entziffern, die vielleicht einem Mitglied der damaligen Hofgesellschaft (etwa aus dem Kreis der Familie von Proek-Sinclair?) gelten könnte: ...

Anmerkungen:
"H e i n r i c h  A d.  E d m.  E r n s t (1846-96)" ist nicht ganz korrekt. Das deutet aber darauf hin, daß Heinrich Jacobi auf dem Loschwitzer Friedhof die Familiengrabstätte besucht hatte. Dort heißt es: "Adam Eduard Ernst Heinrich Heinrich Freiherr von Stockhausen-Immenhausen, geb. den 30. Dezember 1846, gest. den 6. April 1889, überführt den 2. Juni 1896". Der Heinrich von Stockhausen wurde 1889 auf dem Trinitatisfriedhof in Dresden beigesetzt.

Der Heinrich von Stockhausen war mit der Margarethe Louise Freifrau von Stockhausen, geb. von Stülpnagel (* Berlin 9.2.1857; † Marseille 7.2.1942) verheiratet. Das " Stammbuch der Althessischen Ritterschaft, enthaltend die Stammtafeln der im ehemaligen Kurfürstenthum Hessen ansässigen zur althessischen Ritterschaft gehörigen Geschlechter, bearb. von Rudolf von Buttlar-Elberberg, Hofbuchhandlung Gustaf Clauning, Cassel 1888" nennt diese Ehe kinderlos und geschieden. Das wird durch die Tagespresse im April 1889 nicht bestätigt.

Bildnachweis:
[1] Heinrich Jacobi, Goethes Lila, ihre Freunde Leuchsenring und Merck und der Homburger Landgrafenhof, S. 87

Quellenverzeichnis:
[] Heinrich Jacobi, Goethes Lila, ihre Freunde Leuchsenring und Merck und der Homburger Landgrafenhof, aus Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde zu Bad Homburg vor der Höhe, XXV. Heft 1957, herausgegeben von Fritz Sandmann, Druck: Carl Zeuner & Co. K.-G., Bad Homburg v. d. H. 1957
[] Karl Eduard Vehse, Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation, 48 Bände, Hoffmann und Campe, Hamburg 1851 - 1858
[] Karl Schwartz, Landgraf Friedrich V. von Hessen-Homburg und seine Familie. Aus Archivalien und Familienpapieren, Erster Band: Biographie des Landgrafen, mit Nachrichten über Vorfahren, Familie, Umgebung und Beziehungen zu berühmten Zeitgenossen, Buchhandlung der F. priv. Hofbuchdruckerei, Rudolstadt 1878
[] Die Tilebeins und ihr Kreis. Stettiner Bürgerkultur im 18. und 19. Jahrhundert, vornehmlich in der Goethezeit, Stettin 1937
[] Kurt von Priesdorff, Soldatisches Führertum, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1935–1942 (10 Bände)

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