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Aus der Photographie-Rahmen-Fabrikation des Jean Scherbel seit 1873 in Dresden entwickelte sich mit dem Neubau der Fabrikanlage eine indutrielle Produktion auf dem Gelände des Heinrichsberges. Die Einweihung erfolgte 1882. Dort wurde dann Industriegeschichte geschrieben. Es folgen einige Veröffentlichungen, die die Arbeit mit den Erfindungen beschreiben.

    Aus Sachsen. Dresden. Im Villen-Viertel hinter der Schillerstraße herrscht unter den gutsituirten Bewohnern desselben keine geringe Aufregung über den Entschluß des jüdischen Cartonnagen-Fabrikanten J e a n  S ch e r b e l, das von ihm angekaufte ehemals Renz'sche Grundstück in Fabrikanlagen verwandeln zu wollen. Die Umwohnenden haben gegen diese Absicht entschieden Verwahrung eingelegt und bleibt es abzuwarten, ob die Genehmigung nichtsdestweniger ertheilt werden wird. Auch die Militärbehörde scheint kein Freund dieser Idee zu sein, da sie mit Recht Unzukömmlichkeiten befürchtet, wenn in der Nähe der Casernen Hunderte von Fabrikmädchen beschäftigt werden und dann Abends ihre  Allotrin treiben. Der Character des ganzen Viertels würde damit mit e i n e m Schlage ein ganz anderer, wie nicht näher auseinandergesetzt zu werden braucht.1

   Erst in neuerer Zeit entstand ein weiteres großes gewerbliches Etablissement, das ist die zu Loschwitz gehörige Fabrik des J e a n  S ch e r b e l an der Bautzner Straße. Die Fabrik wurde an anderem Orte bereits 1872 begründet, das Loschwitzer Fabrikgebäude von 1881 bis 1882 gebaut und am 15. Mai des letztgenannten Jahres bezogen. Dieselbe beschäftigt inclusive der außer der Fabrik Arbeitenden 600 bis 700 Personen bei einem wöchentlichen Verdienste von 15 - 40 Mark pro Arbeiter und von 8 - 18 Mark pro Arbeiterin.
   Eine Dampfmaschine von 50 Pferdekraft treibt insgesamt 48 Stanz-, Präg-, Schleif-, Polier- und Schneidemaschinen, sowie 3 große Waarenaufzüge, 1 dynamo-elektrische Maschine zum Vernickeln, 3 lithographische Schnellpressen und 3 Stickmaschinen. --- Die Arbeitsräume und der Speisesaal zeichnen sich durch Sauberkeit aus und ist für Zuführung von frischer Luft wohl gesorgt. Die Fabrikatio erstreckt sich auf Anfertigung von Photographie-Rahmen in allen Genres, Papp-Rahmen mit Bild und mit Spiegel, Albums. Console, montirte Porzellanschalen, Nippes, als: Finghut-Etuis, Zahnstocher-Etuis, Flacons, Necessaires, Federwischer, Schreibzeuge, Uhrhalter, Spiel-, Nadel- und Ascheteller, Leuchter, Feuerzeuge, Zwirnhalter, Figuren; Tula-Imitationen, als: Cigarren- und Cigaretten-Etuis, Tabakdosen etc., gepreßte und bunte Lichtbilder, Stickereien, alle arten Metallwaaren (sogenannte cuivre poli Gegenstände), lithographische und Steindruckerzeugnisse, vielerlei Metallwaaren etc. etc. Der Modellsaal ist höchst sehenswert.
   Die Fabrik ist nur für Massenproduktion eingerichtet und arbeitet ausschließlich für den Export. Ihre Hauptabsatzgebiete sind: England, Amerika, Australien und Indien, außerdem Spanien und Egypten. Der Jahresumsatz wird auf 1 1/2 Millionen Mark angegeben.2

   Die Buchbinder-Fachausstellung in M ü n ch e n bietet viel bietet viel des Interessanten. Sie zerfällt in zwei Abtheilungen, eine Ausstellung der Neuzeit und eine historische Ausstellung. Die erstere ist wieder in zwei Abtheilungen getrennt, nämlich in eine Ausstellung von Maschinen und Hilfswerkzeugen und in eine solche von Erzeugnissen der Buchbinderkunst und Einschlägigem. Den Eindruck machte dieselbe aber in erster Linie, daß auch hier die Maschine, die immer mehr zur höchsten Vervollkommnung gelangt, auf dem besten Wege ist, die Handarbeit zu verdrängen, und daß die Innungen dem Kleingewerbe eigentlich gar keinen Gefallen thun, solche Ausstellungen zu arrangiren, denn der eigentliche Kleingewerbetreibende kann da  gar nicht mehr mitconcurriren. Da sehen wir in erster Linie eine Reihe von Hilfsmaschinen der Firma Karl Krause in Leipzig, von denen namentlich die Cartonnagenmaschinen, auf denen die Firma Jean Scherbel in Dresden, Cartonnagefabrik, ihre Fabrikation vorführt. An drei Maschinen werden Pappschachteln hergestellt, die für den Export ins Ausland bestimmt sind. Die Schachteln sind äußerst elegant, der Carton ist imitirtes Holz, und auf den drei Maschinen können täglich 1200 Stück gefertigt werden. Auch die übrigen Cartonnage-Arbeiten dieser Firma, die alle und jede Arten von Cartons liefert, sind rühmenswerth hervorzuheben. Sehr zahlreich ist München vertreten mit theilweise wirklich prächtigen Einbänden. In der historischen Abtheilung finden sich die Fahnen der Buchbinder-Innungen in München, Dresden, Berlin und Leipzig, sowie eine Sammlung alter Bucheinbände in Renaissance, Spätgothik etc. Weiter erregt das Missale Heinrichs IV. von Frankreich von dem berühmten Meisters Majoli die allgemeine Aufmerksamkeit.3

Die Cartonnagenfabrikation auf ihrem neuesten Standpunkte
(Mit Abbildungen, Fig. 58 - 94.)

   Wie so manches Kleingewerbe durch die bedeutenden Fortschritte der Maschinenindustrie zu ungeahnter Höhe emporblüht ist und sich Absatzgebiete erschlossen hat, welche sonst ganz ausser dem Bereiche der betreffenden Branche gelegen hatten, so ist es auch die Cartonnagenfabrikation gegenwärtig ein bedeutender Erwerbszweig geworden, der mit den mannigfachsten maschinellen Hilfsmitteln ausgestattet ist und eine grosse Zahl von Arbeitern und Arbeiterinnen beschäftigt.
   Unter den deutschen Geschäftshäusern, welche sich mit der Herstellung von Cartonnagen befassen, ist namentlich dasjenige der ausserordentlich rührigen Firma Jean Scherbel, Dresden, zu nennen, welches durch die grosse Zahl seiner in. und ausländischen Patente, mehr aber noch durch seine Fabrikate, welche einen wichtigen Exportartikel bilden,  binnen kurzem einen bedeutenden Ruf erworben hat.Die Erfindungen dieser Firma haben eine vollständige Umwälzung auf dem Gebiete der Cartonnagenfabrikation hervorgerufen und die ganze Arbeitsweise ist eine andere geworden als früher.
   Die r u n d e n Cartons, welche mittels Prägung aus e i n e m  S t ü c k e gefertigt werden, haben keinen eingeleimten Boden und sind ebenso  elegant wie solid und billig. Dieses genre umfasst namentlich Schachteln für Kragen, Manschetten, Thee, Kakao, Droguen aller Art, Cigarren-, Cigaretten-, ferner Zündholzetuis, wie sie zum Theil in Fig. 58 - 76 veranschaulicht werden. Die e c k i g e n  C a r t o n s hingegen, von denen Fig. 77 - 80 einige Beispiele geben, werden in der Weise hergestellt, dass die Kanten durch eine der Firma Jean Scherbel patentirte Metalleinfassung - Klauenverbindung - auf das solideste zusammengehalten werden, sodass die Cartons dadurch die geklebten und selbst die mit Leinwanddecken überzogenen oder mit Draht gehefteten Cartons an Dauerhaftigkeit übertreffen. Die genannte Klauenverbindung besteht, wie Fig. 86 zeigt, aus ausgezackten Blechstreifen, bei denen die Spitzen der Zacken im rechten Winkel umgebogen sind, damit sie in die Pappe eingreifen und, wenn sie durch dieselbe hindurchgestochen sind, auf der inneren Seite umgelegt werden können.
   Das Verfahren bei der Herstellung dieser Cartons ist ein so äusserst einfaches, dass sich jeder, auch nicht einmal mit der Branche bekannte Arbeiter in kürzester Zeit mit demselben vertraut macht.
   Um bei der Bildung der Kanten an den Kasten glatte, scharfe Linien zu erhalten, werden nach der älteren Herstellungsmethode die Papptafeln, nachdem sie ensprechend dem Formate und der Grösse zugeschnitten sind, auf einer Ritzmaschine an den Stellen von aussen eingeritzt, wo die Pappe zum Zusammenbiegen der Seitenwände umgebrochen werden soll. Statt dessen werden nach der Scherbel'schen Methode aus den einzelnen Stücken der mit Hilfe der gewöhnlichen Pappschere in gewünschte Grösse zugeschnittenen Pappe an den Stellen, wo umgebogene Kanten entstehen sollen, feine Nuthen herausgekehlt, wodurch sich die Seitentheile der Pappe leicht aufbiegen lassen, ohne dass an der Aussenseite der Papptafel irgendwelcher Bruch wahrzunehmen wäre. Für diese Arbeit verwendet Jean Scherbel einen der Firma patentirten Ritzapparat, welcher in Fig. 82 abgebildet ist. Es ist dies ein in verticaler und horizontaler Richtung in einem supportartigen Gussstück verstellbarer Stahl, welcher an Stelle der Ritzmesser in die durch fig. 83 dargestellte Ritzmaschine eingeschoben und mittels des Supportstückes angeschraubt wird. Die einzelnen Kehlstähle werden in den für das jeweilige Muster entsprechenden Abständen eingestellt und die Papptafeln erhalten durch seitlich verschiebbare Lineale die erforderliche Führung beim Hindurchschieben unter den Stählen.
   Nachem die Papptafeln auf diese Weise vorbereitet sind, werden die Eckstücke, welche beim Umbiegen der Seitenwände eine doppelte Lage an jeder Ecke bilden würden, abgeschnitten, zu welcher Arbeit man sich der hierfür construirten Eckenausstossmaschinen bedient. Es ist dies eine Maschine, bei welcher ein winkelförmiges, verstellbares Messer auf und ab geführt wird, das bei jedem Niedergange eine Ecke ausschneidet. Bevor nunmehr die Verbindung der Ränder durch die Blechklammern erfolgt, müssen diese in passender Länge abgeschnitten werden, wozu der in Fig. 81 dargestellte Apparat dient. Die endlosen Blechleisten werden hier durch eine Oeffnung hindurchgeschoben bis an einem der erforderlichen Länge entsprechenden, verstellbaren Anschlag, worauf das hervorragende Stück durch einen Druck auf den Hebel abgeschnitten wird. Nachdem dann noch die Seitenwände aufgebogen sind, werden dieselben an den Ecken mit Hilfe der patentirten Eckenbefestigungsmaschine verbunden.

 Zu diesem Zwecke wird eine Ecke nach der anderen, wie Fig.85 angiebt, auf den dachförmigen Ambos a aufgelegt; ein Stück Klauenblech von passender Länge wird bei b in den Oberstempel eingeschoben und dann dieser durch Niedertreten eines Fusshebels heruntergeschlagen. Demnach wird die Ecke mit einem Schlage fertig getellt, ohne dass noch eine weitere Nacharbeit nöthig wäre. Diese Methode ist offenbar eine sehr einfache, in deren Ausführung man sehr bald grosse Fertigkeit erlangen kann. So ist ein Mädchen im stande, bei zehnstündiger Arbeit 10 000 Ecken pro Tag zu befestigen, also in dieser zeit 1250 Stück Cartons der in Fig. 87 wiedergegeben Form fertig zu stellen.
   Je nach Zweck und Stärke des Materials werden die Metallverbindungen in verschiedenen Breiten ausgeführt und zwar werden dieselben nicht allein als Verbindungsmaterial für die Ecken, sondern auch in schmaleren Streifen als Randeinfassungen und in breiten Bändern als Verzierung derselben angewendet. Z. B. zeigt der in der nebenstehenden Abbildung Fig. 88 dargestellte Koffer die Verwendung der Klauenbandage als Eckverbindung, als Umsäumung des Verschlussrandes und als riemenartige Verzierung quer über den Rücken des Koffers. Auf diese Weise erfolgt die Herstellung von gewöhnlichen Pappkasten, Musterkoffern, Handkoffern, Schultaschen, Schmuck- und Nähkasten und die sämmtlichen Fabrikate zeigen ein geschmackvolles, elegantes Aeussere, ohne an irgendeiner Stelle genäht, geklebt oder geleimt zu sein.

CartonnageneinfassungsmaschineJeanScherbel

   Neben der beschriebenen Eckenbefestigungsmaschine hat Jean Scherbel neuerdings einen anderen Apparat zum Heften von Cartons mit Blech zum Patent angemeldet, mittels dessen die Heftung nicht durch ganze Streifen, sondern durch einzelne Blechklammern erfolgt, welche zuvor von einem Streifen abgeschnitten werden. Diese in Fig. 84 abgebildete Heftmaschine arbeitet in der Weise, dass, nachdem auf eine Rinne ein ausgezackter Blechstreifen von der erforderlichen Form aufgelegt ist und die zu heftenden Ecken auf dem Ambos in zusammengefaltetem Zustande aufgehängt sind, der Oberstempel durch einen Tritt auf den Fusshebel herabgedrückt wird, wodurch zunächst eine Klammer von dem Blechbande abgelöst (Fig. 89) und diese beim weiteren Niederschlagen des Stempels in die Pappe eingestochen und vernietet wird. Diese Pappkasten (Fig. 90), deren Ecken durch einzelne Blechklammern verbunden sind, erweisen sich als sehr haltbar und mindestens ebenso elegant wie die mit Draht gehefteten, welch letztere eine complicirte, daher leicht Reparaturen ausgesetzte Maschine erfordern und kaum in ebenso grosser Festigkeit herzustellen sind An Stelle einzelner Blechklammern können mit dieser Maschine bei geringer Midification auch Stücke mit zwei und mehr Zinkenpaaren eingetrieben werden, ganz wie dies das Muster des Cartons erheischt (Fig. 91).
   Grosse Mannigfaltigkeit in der Ausstattung der Cartons bei geringem Aufwande an Zeit und Mühe wird durch eine andere der Firma Scherbel patentirte Maschine erreicht, welche durch Fig. 94 dargestellt ist. Es ist dies eine Carton-Einfassungs- und Bardürenmaschine, welche das bisher nach der Fertigstellung der Kasten von Hand vorgenommene Bekleben der Kanten und Einfassen der Ränder mit Papierstreifen bewirkt, wenn die Kasten erst zugeschnitten sind (Fig. 92) und sich noch im ebenen Zustande befinden. Die Papptafeln werden dann beim Hinlaufen unter Druckrollen mit ebenen oder profilirten Streifen beklebt und anderseits an den Rändern mittels liegender Falz- und Druckrollen  mit Streifen eingefasst. Die auf diese Weise hergestellten Bordüren und Einfassungen geben dem einfachsten Kasten ein feines, apartes Aussehen (Fig. 93) und die aufgeklebten Papierstreifen erscheinen als bunte oder bronzirte Reliefprägungen, welche sehr viel Effect machen. Ausserdem wird durch die Verwendung schmaler Buntpapierstreifen an Material gespart und die Arbeit fällt weit sauberer aus, als dies von Hand möglich sein würde. Die Leistung einer solchen Maschine beläuft sich auf ca. 400 Kasten für den Tag, kann aber je nach Grösse und Ausstattung der letzteren auf die doppelte Zahl gesteigert werden.
   Die verschiedenartigen, mittels der Scherbel'schen Maschinen hergestellten Cartonnagen besitzen anderen Fabrikaten gegenüber unzweifelhaft grössere Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit; sie empfehlen sich ausserdem durch ihr hübsches Aussehen und sind, da sie ohne Klebstoff zusammengefügt sind, unbedingt sauberer und daher vielseitiger verwendbar als die nach  der alten Methode hergestellten Cartons. Ebenso erscheint die Verwendung der Cartons mit Metall-Klauenverbindungen in pecuniärer Hinsicht günstig, da dieselben nicht theurer als geklebte, aus gleichem Material gefertigte Cartons zu stehen kommen.
   Die Thatsache, dass die Scherbel'schen Patente schon mehrfach verkauft und dass die Scherbel'sche Fabrik trotz ihrer bedeutenden Ausdehnung kaum im stande ist, den Bedarf an eckigen Cartons von Dresden und Umgegend zu decken, sowie die weite Verbreitung, welche die Fabrikate in kurzer Zeit erreicht haben, liefern den besten Beweis für deren Brauchbarkeit.

Rt.4, 4a, 4b, 4c                 

Die Cartonnagen- und Metallwaarenfabrik
von Jean Scherbel in Dresden
(Mit Abbildung, Fig. 169.)

   Wie unsere Industrie überhaupt während der letzten Jahrzehnte in rascher und reicher Entwicklung zu erfreulicher Ausdehnung und Bedeutung vorgeschritten ist, so sind auch auf denjenigen Gebieten, welche die Production kleinerer Luxus- und Gebrauchsgegenstände umfassen, vielfach Erfolge erreicht worden, die den deutschen Namen, das will sagen deutscher Tüchtigkeit und deutscher Geschicklichkeit, zur Ehre gereichen können. Um einen Beweis für diese Behauptung beizubringen, dürfen wir z. B. nur die Firma Jean Scherbel in Dresden nennen, deren hervorragende Leistungen und bahnbrechende Neuerungen in der Cartonnagenfabrication wir bereits in No. 6 dieses Jahrganges der "Technischen Rundschau" besprochen haben. Auch unter den anderen Fabrikaten der betreffenden Firma, die in Fancy Goods und Nippes, geprägten Metallwaren, Photographierahmen und Albums sowie Papprahmen mit Bildern und Spiegeln bestehen, giebt es solche, die Beachtung verdienen, wenngleich die Cartonnagenfabrikation als derjenige Gewerbezweig zu bezeichnen ist, in welchem die Fabrik besonders Treffliches und durchaus Eigenartiges leistet, das ihr zahlreiche Patente auf Fabrikate und zugehörige Maschinen und, man darf es wohl sagen, Weltruf verschafft hat. Wir glauben auf das Interesse unserer Leser rechnen zu dürfen, wenn wir im Anschlusse an die erwähnte Besprechung in der "Technischen Rundschau" hier eine kurze Beschreibung der Scherbel'schen Fabrik nachfolgen lassen.
   Gleich den meisten unserer grossen industriellen Betriebe hat auch die Fabrik von Jean Scherbel einen nur kleinen Anfang, aber ein rasches und glückliches Wachsthum zu verzeichnen. Im Jahre 1872 speciell für die Anfertigung von Photographierahmen und Nippes gegründet, erweiterte dieselbe während der Zeit von etwa zehn Jahren ihre Thätigkeit, sowohl was den Umfang als auch was die Mannigfaltigkeit betrifft, in so bedeutendem Maasse, dass bereits 1882 ein neues grosses Etablissement bezogen werden musste, welches auf halbem Wege zwischen Dresden und Loschwitz an der Bautzner Chaussee und an der Elbe hoch und frei gelegen ist und, wie unsere Abbildung Fig. 169, erkennen lässt, aus einem Längsbau und dem sich daran schliessenden Mittelbau besteht. In unmittelbarer Nähe des Fabrikgebäudes befindet sich das Kesselhaus, von welchem aus 2 grosse Dampfkessel den Dampf für die grosse Transmission und zur Heizung der Fabrik liefern. Ein geräumiger Hof, von grossen Lagerschuppen begrenzt, welche besonders auch die allwöchentlich in vielen Waggonladungen anlangenden Vorräthe an Pappe aufnehmen, vervollständigt das Aeussere der Anlage. Dafür, dass auch die Innere Einrichtung des Etablissements allen Anforderungen, welche hier vom praktischen und hygienischen Standpunkte aus gestellt werden, genügt, ist in der unseren Lesern aus eigener Erfahrung oder auch aus unseren früheren Schilderungen grösserer Fabrikanlagen der Hauptsache nach bekannten zeitgemässen Weise ebenfalls bestens gesorgt.

CartonnagenfabrikJeanScherbel
Fig. 169. Die Cartonnagen- und Metallwaarenfabrik von Jean Scherbel, Dresden.

   Fünfzehn Arbeitssäle von je 20 m Länge, 13,7 m Breite und 3,7 m Höhe sind im Souterrain und in den vier Stockwerken des Längsgebäudes derart vertheilt, dass jeder derselben durch 13 grosse Fenster von drei Seiten Licht erhält. Zur Verbindung der einzelnen Abtheilungen untereinander dienen breite steinerne Treppen sowie drei Aufzüge. Da die Fabrik das zur Herstellung und Ausstattung ihrer Erzeugnisse erforderliche Material im wesentlichen selbst vorbereitet, sieht man in verschiedenen Arbeitssälen nur sog. Halbfabrikate entstehen, die darauf in andere Räume wandern, um dort, als Grundform oder als Ausstattungstheil des betreffenden Stückes, zu weiterer Verwendung zu gelangen. So werden im Souterrain mittels zweckdienlicher Maschinen die Metallverbindungen und Metalleinfassungen für die eckigen Cartons hergestellt, deren Fabrikation in der ersten Etage vor sich geht. Andere im Souterrain thätige Maschinen pressen die Papprahmen, welche, mit den aus der chromolithographischen Anstalt hervorgegangenen "Chromos" zusammengeklebt, in tausenden und aber tausenden von Grössen ins Ausland, besonders nach Amerika, versendet werden. Auch die Fabrikation der runden Cartons erfolgt im Kellergeschoss; hier finden sich ferner die Metallgiesserei und die Metalldrückerei, in welch letzterer gewaltige Prägemaschinen (Wurfpressen) Rahmen aus Cuivre poli u. dgl. arbeiten, auf 11 Drehbänken Oval-Metallrahmen hergestellt werden, endlich die Vernickelungsanstalt bezw. Bronzirerei, die Schmiede und ein Packraum. Die oben erwähnten Chromos werden von 8 lithographischen Schnellpressen und einer Anzahl von Handpressen der chromolithographischen Anstalt geliefert, die im Parterre eingerichtet ist. Letzteres enthält auch die Walzendruck- und Prägemaschinen, welche die Pappe in ganzen Boden bedrucken und prägen, sowie die Stanzpressen, die Vergoldepressen und 3 grosse Ziehbänke. Ausserdem sind im Parterre die Räume zur Verpackung und Expedition sämmtlicher Rahmen vorgesehen. Die erste Etage wird zu ihrem grössten Theile von der Fabrikation der eckigen Cartons in Anspruch genommen, doch werden hier auch die Stahlblech-Riemenverbinder ausgeführt und expedirt. In der zweiten Etage beschäftigen neben der Fertigstellung der Rahmen die Nippes und Plüschmonturen viele fleissige Hände; weiter befindet sich in derselben die mechanische Stickerei, bei welcher 3 grosse Stickmaschinen verwendet werden, die Glaserei und das Lager für Halbfabrikate und Rohmaterialien (ausschliesslich der Pappe). Die dritte Etage umfasst das Maleratelier, die Lackirerei, die Pappenfärberei und die Cachiranstalt.
   Wenn man den Mittelbau durchwandert, so findet man im Parterre die Comptoirs, während in den Etagen desselben die Musterzimmer eingerichtet sind. Bei den Musterzimmern sei hier auch erwähnt, dass die Fabrik ein permanentes Musterlager in Berlin (Berlin 8, Prinzenstrasse 89, I) und ebenso in London (London E C, 69 Milton Street) unterhält. Der Verkehr zwischen den Comptoirs und den Arbeitsräumen wird durch Sprachrohre erleichtert; auch führt von ersteren eine Telephonleitung nach der Villa des Chefs.
   Es zeugt unzweifelhaft für eine umsichtige Leitung, wie es anderseits als eine mächtige Stütze des Gedeihens gelten muss, wenn in einem Betriebe besonderes Gewicht auf die persönliche Tüchtigkeit des einzelnen Arbeiters gelegt resp. dessen gutes Fortkommen gewünscht und gefördert wird. Auch bei der Scherbel'schen Fabrik findet sich dieses charakteristische Merkmal solider Geschäfts- und Gewerbeunternehmungen. So wird in derselben z. B. darauf gehalten, dass der Arbeiter nach vollendeter Lehrzeit mindestens 18, die Arbeiterin mindestens 9 M wöchentlich verdient, widrigenfalls sie als untauglich entlassen werden. Es können aber von ersterem 20 - 40, von letzterer 15 - 20 M als Wochenlohn erzeilt werden. Die Zahl sämmtlicher von der Fabrik beschäftigten Arbeiter resp. Arbeiterinnen beträgt über 600, worunter etwa 100 Hausarbeiter sind. Von diesen über 600 Arbeitern werden jährlich für über 2 Mill. M Waaren gefertigt, deren grösster Theil im Auslande, namentlich in Amerika, aber auch z. B. in Frankreich und England Absatz findet, um nicht selten erst von da aus und leider unter französischer oder englischer Etikette in den deutschen Handel zu gelangen.
   Noch immer vermag ja, zum Schaden der deutschen Industrie, das Publicum nicht, sich stets und überall frei zu machen von der Ueberschätzung fremder, der Unterschätzung einheimischer Production; noch immer finden sich leider auch Gross- und Kleinhändler, die diesem Fehler des Publicums bereitwillig Rechnung tragen und so manchmal, wissentlich oder unwissentlich, deutsche Waaren nicht direct aus Deutschland, sondern erst aus dem Auslande beziehen. Gerade hinsichtlich solcher kleinen Artikel, wie sie aus der Fabrik von Scherbel hervorgehen, bei denen die Kenntnis guter Leistungen sich begreiflicherweise langsamer verallgemeinert als bei den Gegenständen von hervorragendem künstlerischen oder praktischen Werthe, will man an die deutsche Meisterschaft noch immer nicht recht glauben, ist man geneigt, der ausländischen Concurrenz den Vorrang zu geben. Hoffentlich ist aber der Zeitpunkt nicht mehr fern, da auch dieses ungerechte Vorurtheil Deutscher gegen das Deutsche schwindet und a l l e Producte des einheimischen Gewerbfleisses auch bei uns die Werthschätzung finden, die sie verdienen und die ihnen ja das Ausland vielfach nicht mehr zu versagen vermag.

Th. W.5     

Die Berliner Gewerbe-Ausstellung.
XIX.

    Die A c t i e n - G e s e l l s c h a f t  f ü r  C ar t o n n a g e n - I n d u s t r i e in Dresden-N., Bautzener Chausse 65 hat ihre wohlbekannten Erzeugnisse, durch welche eine eigentliche C ar t o n n a g e n - I n d u s t r i e überhaupt erst geschaffen worden ist, in einem eigens zu diesem Zwecke erbauten Pavillon auf der Berliner Ausstellung unter der Gruppe XVI (Papier-Industrie) ausgestellt. Dieser Pavillon bietet um deswillen besonderes Interesse, weil bei der inneren Wand- und Deckenbekleidung zum erstenmal die der Firma patentirten H o l z f o u r n i r - P a p p e n in Anwendung zu sehen sind. Das Getäfel ist in Alteiche gewachst, Nussbaum polirt und mit einer Kassettendecke aus Mahagoni gekrönt, höchst geschmackvoll durch die Holzfournir-Pappen immitirt. --- Die Cartonnagen-Industrie befindet sich noch im Stadium der Entwicklung. Die Verpackung von Gegenständen aller Art war früher eine grosse Nebensache, während wir jetzt in fast allen Branchen die Erscheinung wahrnehmen können, dass man der Ausstattung der zu versendenden Gegenstände durch Verpackung ganz erhebliche Opfer an Geld und Material bringt. Durch das Blechkammerverfahren (die Blechkammerbeschlagmaschinen sind übrigens separat in Gruppe IX ausgestellt) ist es möglich gemacht worden, dass flach gelegte Cartonnagen von Dresden aus nach fernen Welttheilen versandt werden können, die am Bestimmungsort erst vermöge ebenfalls von der Actien-Gesellschaft für Cartonnagen-Industrie in Dresden construirter, einfacher Maschinen von ungeübter Hand zum eigentlichen Carton umgebildet und befestigt werden können. M u n i t i o n s f a b r i k e n und T a b a k r e g i e n sind Hauptconsumenten. Eine Specialität der Firma ist ferner die Herstellung von verschiedenen Erzeugnissen für den Heeresbedarf, z. B. Schiessscheiben, Kanonenschläge etc. Die ganz aussergewöhnlichen Erfolge führten zu einer glänzenden Entwicklung des erst vor 8 Jahren gegründeten Geschäfts.6

Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung zu Leipzig 1897. (Fortsetzung.) Eine scharfe Grenze Buchdruckerei, Vergoldeanstalt  und fabrikmässige Prägern von Gratulationskarten u. s. w. ist schwer zu ziehen; wir finden die letztere Fabrikation vielfach als Nebenfabrikation von Buchbindereien und überhaupt ist Sachsen sehr gross in diesem Artikel. ...
   Im Gebiete der Cartonnagefabrikation nimmt Sachsen eine hervorragende Stellung ein, und sind besonders rühmenswert die dort ihren Ursprung habenden mechanischen Fortschritte dieser Branche, welche einen totalen Umschwung hervorgebracht haben.
   Eine der interessantesten  Fabriken ist die A k t i e n g e s e l l s c h a f t  f ü r  C a r t o n n a g e n - I n d u s t r i e Dresden-N. Sie hat die Blechklammern als Verbindung an Schachtelecken zuerst gebracht, und betreibt die Erstellung von Kartonschachteln aller nur erdenklichen Formen mit rühmenswerter Virtuositität. Das Prägen und Ziehen von Kartons ist hier eine ganz besonders gepflegte Manier: ausserdem ist die Fabrik aber auch sehr bedeutende Lieferantin ihrer selbsterfundenen Spezialmaschinen, wie Blechheftmaschinen, Biegemaschinen, Nuthapparate, Stanz- und Prägwerke etc.
   Eine ganz neue Specialität bringt die Firma mit ihren patentierten echten Holzfournieren in reichster Hölzerwahl und in 0,15 mm Dicke auf 25 Meter langen Rollen, welcher Artikel vorzüglich Verwendung findet für Wand- und Deckenbekleidung etc.
   Als Konkurenzfabrik figuriert die S ä c h s i s c h e  C a r t o n n a g e n - M a s c h i n e n - A k t i e n - G e s e l l s c h a f t, welche das Hauptaugenmerk indes doch mehr der Maschinenbranche zuwendet und in Ausbeutung der Patente "Remus" ausserordentlich weites Absatzgebiet für ihre gediegenen Hilfsmaschinen der Cartonnagenfabrikation hat. Ein reichhaltiges Sortiment von Arbeitsproben zeigt uns die gar vielartigen Fabrikationsprozesse. ... 7

[1] Deutsche Reform. Organ der Deutschen Reform-Partei, Chef-Redacteur: Alexander Pinkert, Nr. 23, Dresden 20. März 1881
[2] Friedrich Wilhelm Pohle, Chronik von Loschwitz, Druck und Verlag von Christian Teich Dresden 1883, Albanus'sche Buchdruckerei, Dresden 1887
[3] Freisinger Tageblatt, Amtsblatt für die k. Amtsgerichte Freising und Moosburg und den Stadtmagistrat Freising, Freising, Nro. 189, 82. Jahrgang, 21. August 1886
[4] Industrielle Rundschau, Herausgegeben von W. H. Uhland, Verlag von Baumgärtner's Buchhandlung, Leipzig, II. Jahrgang, Leipzig. 9. Februar 1888, No. 6, S. 43
[4a] ebenso mit mehr Abbildungen in: Deutsche Industrie-Zeitung, Chemnitz 11. März 1888
[4b] ähnlich in Bayrisches Industrie- & Gewerbeblatt, --- herausgegeben vom Ausschusse des polytechnischen Vereins in München, ...Nro. 9, S, 113, 1888
[4c] ebenso in: Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen. Zeitschrift des Landesgewerbvereins. No. 8, Februar 1890
[5] Industrielle Rundschau, Herausgegeben von W. H. Uhland, Verlag von Baumgärtner's Buchhandlung, Leipzig, II. Jahrgang, Leipzig. 3. Mai 1888, No. 18, S. 158
[6] Uhland's Verkehrszeitung und Industrielle Rundschau, X. Jahrgang. Nr. 36, Leipzig, Berlin und Wien, 8. September 1896
[7] Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien, 12. Jahrgang, Nr. 17, Stuttgart, 1. September 1897